Mit Need for Speed Shift verließ EA gewohntes Fun-Racer Terrain und wandte sich das erste Mal dem realen Rennsport zu. Für einen Einsteiger war Shift wirklich gut gelungen, aber einige wenige Fehler wie die zu schwammige Pad-Lenkung und ein fast unspielbarer Drift-Modus trübten meinen Spielspaß. Nun steht seit einigen Tagen der Nachfolger auf der Startlinie und will der Konkurrenz um Gran Turismo und Forza Motorsport den Benzinhahn zudrehen.
Ich habe mich in den feuerfesten Rennanzug gequält und hinter das Lenkrad der verschiedensten Boliden geklemmt, um euch meine Eindrücke vom Nachfolger direkt aus dem Cockpit zu schildern.
Dabei ist „aus dem Cockpit“ nicht nur so daher gesagt, denn Shift 2 Unleashed bietet etwas, was sich vom immer ähnlicher werdenden Rennspiel-Genre klar abhebt. Verschiedene Perspektiven gibt es seit etlichen Jahren, Shift 2 fügt diesen aber nun eine vollkommen neue Helm-Perspektive hinzu. Auf den ersten Blick unterscheidet sich diese Ansicht nicht großartig von der ebenfalls bekannten Innen- oder Cockpit-Ansicht anderer Spiele, auf den zweiten dann aber doch gewaltig. Wer einmal am Steuer eines echten Sportwagens gesessen hat, wird diese Perspektive lieben, vor allem, wenn das gesamte HUD und die Ideallinie abgeschaltet sind. Die ganze Konzentration gilt nur dem Fahrzeug, den nächsten Metern Strecke vor der eigenen Motorhaube und das Adrenalin fließt. Beim Beschleunigen und bei Bremsmanövern verschwimmt zusätzlich das Umfeld, der Blick ist stur geradeaus auf den nächsten Bremspunkt oder den Scheitelpunkt der Kurve gerichtet. Bei einer Hochgeschwindigkeitsgeraden wackelt zusätzlich noch der Kopf leicht hin her und neigt sich bei Kurvenfahrten dem Ausgangspunkt zu. Das ist Rennfeeling wie „in echt“, in keinem anderen Spiel wird Rennsport so intensiv vermittelt, wie in Shift 2 Unleashed.
Aber nur eine neue Ansicht zu spendieren, würde einem Nachfolger nicht gerecht werden. Und so spendiert Entwickler Slightly Mad dem Spiel auch gleich verschiedene Tageszeiten. Was hier auf den ersten Blick nicht sonderlich aufregend klingt, bereitet im Spiel auf der Strecke selbst einen Heidenspaß und dreht an der Realismus-Schraube wie kaum ein anderes Spiel. Wer selbst Auto fährt kennt das Problem, in der Dämmerung nach der nächsten Kurve direkt in die tiefstehende Sonne zu blinzeln: Die Sicht ist für einen kurzen Moment gleich Null und so ergeht es euch auch hier. Lichtreflexe auf der Scheibe blenden und lassen euch instinktiv vom Gas gehen, bis ihr wieder etwas von der Strecke erkennen könnt … und im schlimmsten Fall nutzt die KI diesen Moment, um euch zu überholen. Einfacher gestalten sich da schon die neu ins Spiel integrierten Nachtrennen. Toll ausgeleuchtete Strecken sind das Eine, das Andere sind die Scheinwerferkegel eurer Gegner hinter euch und der Schatten eures eigenen Fahrzeugs vor euch. Ihr könnt dadurch in etwa erahnen, wann und wo euer Konkurrent zum Überholen ansetzt und das Loch zufahren. Aber das sind nicht die einzigen grafischen Schmankerl auf der Strecke. Gummiabrieb und dementsprechende Gummifetzen auf der Windschutzscheibe sind schon klasse, aber ich habe in einem Rennspiel noch nie ein auf der Scheibe zerplatztes Insekt gesehen! Wenn es nun im nächsten Teil noch Scheibenwischer und eine Waschanlage gegen Schmierstreifen toter Wespen gibt, wird meine Freude ungeahnte Höhen erreichen.
Aber die schönste Grafik nützt nichts, wenn das Spiel seinen eigenen, hohen Ansprüchen nicht gerecht wird. Und ab jetzt wird es schwierig, denn was hat der Käufer von Shift 2 Unleashed für Ansprüche? Wer bei diesem Spiel ein Need for Speed (weil das noch kleingedruckt auf der DVD-Hülle steht) der klassischen Sorte erwartet, bei dem es darum geht, einzusteigen und locker ein paar Arcade-Runden zu drehen, sollte zwingend die Finger vom Spiel lassen. Wer hier eher locker mit dem Realismusanspruch eines Forza Motorsport an die Sache geht, wird ebenfalls unangenehm überrascht sein. Und wer meint, hier ganz geschmeidig mit seinem in Gran Turismo erworbenen fahrerischen Können glänzen zu können, wird auf der Strecke massive Schwierigkeiten haben. Denn Shift 2 Unleashed ist anders und das in jeglicher Hinsicht. Das beginnt beim Fahrverhalten der Boliden und endet bei der Aggressivität der KI. Und alles was dazwischen liegt, ist auch ein wenig anders.
Müsst ihr euch in anderen Spielen von Fiat 500 oder ähnlichen Geh-Hilfen nach oben arbeiten, verpflanzt euch Shift 2 schon wie im ersten Teil hinter das Steuer eines „echten“ Autos. Ihr startet mit einem Nissan GT-R und dreht eure ersten Runden. Wie bereits im ersten Teil geht es hier jedoch nur darum, eure Fähigkeiten einschätzen zu können und das Spiel macht euch dann einen Vorschlag, den ihr aber jederzeit ändern könnt. Dabei geht es nicht nur um die Schwierigkeit an sich, sondern auch um den Handling-Modus, der die Anzahl der Fahrhilfen von „leicht“ bis „Elite“ regelt. Wie bereits aus vielen Spielen bekannt, könnt ihr hier diverse Einstellungen wie Ideallinie, Traktionskontrolle, Brems- und Lenkhilfe vornehmen, sowie ein vollständiges Schadensmodell einstellen. Wer das erste Mal einen Shift-Titel spielt, sollte tatsächlich die Ideallinie aktiviert lassen, um sich an das Fahr- und Bremsverhalten der Fahrzeuge zu gewöhnen. Sind diese Einstellung nach eurem Gusto angepasst, geht es ohne weiteres Vorgeplänkel und Geschwafel sofort auf die Piste. Und hier zeigt sich bereits nach dem Start der Unterschied zu allen bisherigen Racern. Ist der Spruch „wer bremst, verliert“ bei Gran Turismo aufgrund des fehlenden Schadensmodells noch einigermaßen akzeptabel, so ist bremsen bei Shift 2 Unleashed existenziell. Wer vor einer Kurve oder einer Schikane nicht zurücksteckt, wird das Rennen definitiv neu starten. Denn die KI handelt nach Rennregeln: Wer zuerst in der Kurve ist, fährt voraus. Wer also hier meint, die Bremse ist ein unnötiges Feature, was euch in eurem Drang nach Höchstgeschwindigkeit behindert, wird sich bereits in der ersten Kurve eines Besseren belehren lassen müssen. Und glücklicherweise verzichtet das Spiel auf die in Mode gekommene, unsägliche Rückspulfunktion. Wer also in der Begrenzung oder im Kiesbett landet, hat so gut wie keine Chancen mehr auf einen Sieg oder einem Platz auf dem Podium.
An der KI werden sich bei Shift 2 Unleashed die Geister der videospielenden Rennfahrer scheiden. Ich hatte nach den ersten Minuten das beklemmende Gefühl, hier wieder beim grafisch einwandfreien, aber aufgrund der missratenen KI unspielbaren Racedriver Grid gelandet zu sein. Dieses Spiel hat mich in den Wahnsinn getrieben und mich ein nagelneues XBOX-Pad gekostet. Kein Rennen, ohne dass ich von der KI in egal welcher Kurve über den Haufen geschossen wurde. Aber Shift 2 ist doch anders. Die Computer-Fahrer sind ohne Frage aggressiv und gehen auch mal hemmungslos zur Sache. Aber hier wird Motorsport geboten. Wer Fan von Tourenwagen-Rennen aller Art ist, wird spätestens im Rennen erkennen, wie dicht Shift 2 an diese Motorsport-Events heran kommt. Da wird gedrängelt und geschoben, da wird Blech verbeult, Carbon gesplittert und ab und an geht es ins Kiesbett, aber letztendlich geht es darum, Rennen und keinen Strick- oder Buchstabierwettbewerb zu gewinnen. Und genau das alles bietet Shift 2 Unleashed: Rennsport pur! Denn wer es schafft, sich vor dem Computer in die Kurve zu bremsen, wird merken, dass dieser dann auch zurückzieht. Da wird zwar mal im Heck angeklopft, aber man wird nicht wegen einer stur eingehaltenen Ideal-Linie von der Piste geschubst. Allerdings funktioniert das auch umgekehrt. Verfehlt ihr euren Anbremspunkt und kommt von der Ideal-Linie ab, so kann es passieren, dass ihr in der letzten Kurve den schon sicher geglaubten Podiumsplatz verliert, weil der nachfolgende Wagen noch durchschlüpft. Hier liegen Erfolgserlebnisse und Frust ganz eng beieinander und selbst ein dritter Platz wird je nach Schwierigkeitsgrad dann schon als Erfolg verbucht.
Auch das Fahrverhalten der Boliden ist mehr als gelungen, auch wenn das Spiel seine Arcade-Wurzeln nicht wirklich verbergen kann. Ihr werdet Kurse erleben, auf denen ihr trotz Pad-Steuerung regelrecht fühlen könnt, wie das Auto leicht wird und an Bodenhaftung verliert. Wer dann auf dem Gas bleibt und vielleicht noch etwas zu hektisch am Stick hantiert, wird unweigerlich in Schwierigkeiten geraten. PS wollen beherrscht werden und man sollte meinen, dass Gas geben auf gerader Strecke jeder Fahranfänger kann. Aber weit gefehlt, denn auch Profis haben ab und an echte Probleme, ein hochgezüchtetes Monster sauber in der Spur und auf dem Asphalt zu halten. Ich erinnere an diesen höllischen Unfall 1999 bei den 24 Stunden von Le Mans, als auf der Hochgeschwindigkeitsgeraden der Mercedes CLR von Peter Dumbreck einfach abhob, sich mehrmals rückwärts überschlug und neben der Piste im Gebüsch landete. Das passiert euch hier nicht, aber auch ihr werdet zu tun haben, euren Rennwagen sauber um den Kurs zu bringen. Wer sich jetzt über die KI und das anspruchsvolle Fahrverhalten im Klaren ist und bereit ist, die Bremse als notwendiges Hilfsmittel zur Fahrzeugbeherrschung zu betrachten, wird ein Rennspielerlebnis wie ganz selten zuvor genießen dürfen. Wer allerdings nur gelegentlich mal einen Racer in die Konsole legt, wird mit dem Spiel nicht glücklich. Da gibt es reichlich gute Alternativen für jede Erfahrungsstufe.
Electronic Arts gibt in seiner eigenen Pressemitteilung zum Spiel an, dass akribisch nachgebaute Kurse inzwischen zum guten Ton gehören. Und auch Shift 2 trifft alle Töne. Denn neben originalen Kursen wie dem Nürburgring oder Suzuka haben auch wieder etliche frei erfundene Kurse ihren Weg auf die Scheibe gefunden, auch wenn diese teilweise schon aus Teil 1 bekannt sind. Auf der Strecke gibt es an der Grafik nichts auszusetzen, was aber nicht für jede Grafik neben der Strecke gilt. Gelegentlich unschöne Texturen auf Häuserwänden der Stadtkurse sind aber nebensächlich. Die Wahrheit liegt auf dem Asphalt und da glänzt Unleashed. Ein vollständiges Schadensmodell sorgt für defensive Fahrweise, Kies fühlt sich wie Kies an und Bodenwellen sorgen für schwitzige Hände. Weniger überzeugt hat mich aber das Menü, denn das finde ich eindeutig zu unübersichtlich. Mir war an einigen Stellen nicht klar, in welchem Event ich mich gerade befinde und welche Rennen der Tour noch vor mir liegen. Da hat Forza für mich noch die Nase vorn.
Getrennt hat man sich glücklicherweise vom Sternesystem und hier in erster Linie von der Belohnung aggressiver Fahrmanöver. Wurde im ersten Teil noch das Ausbremsen oder Berühren bei Überholmanövern belohnt, erhaltet ihr jetzt nur noch Erfahrungspunkte, sinnvollerweise XP genannt, für das saubere Durchfahren von Kurven, das Halten der Ideallinie oder wenn ihr das Feld eine Runde lang anführt. Diese XP lassen euch im Ansehen steigen und ermöglichen den Zugang zu immer neuen Rennen in immer leistungsstärkeren Fahrzeugen. Von denen findet ihr fast 140 im Spiel, darunter neben den klassischen Fahrzeugen von BWM oder Nissan auch seltene Boliden wie den Pagani Zonda oder den Gumpert Apollo. Das sieht auf den ersten Blick im Vergleich zu einem Gran Turismo mit über 1000 Fahrzeugen zwar etwas dürftig aus, aber hier erhaltet ihr pro Hersteller nur das Beste vom Besten und keine Füllmasse. Unterteilt werden die Autos in Klassen von D bis A, sowie in Retro-Fahrzeuge für Klassiker-Events. Und damit sich auf der Piste nicht alles ähnelt, nähert man sich auch hier Forza an. Reichlich Lackierungen und Aufkleber machen euren Boliden dann individuell und unverkennbar.
Wer dann auf der Piste feststellt, dem Feld hinterher zu fahren, begibt sich in den Tuning-Shop und spendiert seinem Wagen ein Chip-Tuning, neue Vergaser, einen perfekt sitzenden Sportauspuff oder ein frei einstellbares Getriebe. Hier wird Shift 2 Unleashed dann dem Simulationsanspruch vollauf gerecht, denn beim Tuning kann man wieder Stunden in das optimale Setup investieren. Warum man allerdings die Karriere verlassen muss und sich in die Garage begeben muss, statt dies aus einem Menüpunkt innerhalb der Karriere zu erledigen, bleibt unklar. Selbstverständlich lässt sich das perfekte Setup dann auch speichern und bei Bedarf wieder laden, um optimal für die vor einem liegenden Events gerüstet zu sein. Und wer letztendlich nach allen erdenklichen Tuning-Maßnahmen noch Geld übrig hat, spendiert dem Auto dann den perfekten Race-Bodykit und erstellt sich so das ultimative PS-Ungeheuer.
Krönung eurer Leistung ist dann der Gewinn der FIA-GT Meisterschaft. Neben den mehr oder weniger normalen Rennen gibt es noch das Zeitfahren und aus mir nicht ganz verständlichen Gründen noch immer den Drift. Dieser fällt für Spieler, die diese Drift-Rennen mit einem Pad bestreiten müssen, ganz klar ab, da sich das Driften wirklich als die schwierigste Disziplin im Spiel gestaltet. Ihr werdet zwar in einem Tutorial ins die Kunst des Slidens eingeführt, aber ich persönlich habe doch eher das Gefühl, dass der Zufall und nicht das Können hier entscheiden. Aber vielleicht tue ich dem Wettbewerb auch unrecht und stelle mich einfach nur zu dumm an? Egal wie, ihr sammelt genug XP, um auch ohne einen Driftwettbewerb voran zu kommen.
Motivierend ohne Ende ist für mich das Autolog. Im letzten Jahr schon in Hot Pursuit vorgestellt, feiert es in Unleashed Premiere. Stellt ein Spieler aus eurer Freundesliste einen neuen Rekord auf, werdet ihr darüber informiert und ihr könnt versuchen, diesen umgehend zu schlagen. Die Jagd nach der letzten Hundertstel Sekunde ist eröffnet. Nebenbei könnt ihr euren Freunden natürlich auch Events empfehlen, neben den typischen Social-Network Merkmalen wie dem Teilen von Fotos oder Trailern und dem Vergleich von Statistiken. Auch am Online-Modus gibt es nicht zu mäkeln. Dieser läuft vollkommen stabil und mit mehr als ausreichend Möglichkeiten zur Erstellung von Wettbewerben, könnt ihr für absolute Chancengleichheit sorgen, indem alle Spieler das gleiche Fahrzeug oder die gleiche Perspektive verwenden müssen. Allerdings muss man sich hier auch wieder der üblichen Rambos erwehren, die aber bereits nach der ersten Kurve chancenlos im Kiesbett landen. Wer Geduld hat und nicht gleich nach dem Start den Pulk anführen möchte, hat online gute Chancen auf den Sieg oder zumindest auf das Siegertreppchen.
Brachial ist der Sound, der für Herzklopfen bei jedem Subwoover und bei den Nachbarn für klirrende Gläser im Schrank sorgt. Und selbst in der Helm- oder Cockpit-Ansicht hat jedes Fahrzeug seinen eigenen, charakteristischen Sound. Selbst an typische Klappergeräusche innerhalb der Karosserie wurde gedacht.
Fazit:
EA wollte mit Shift 2 Unleashed den Forza- und Gran Turismo-Killer platzieren und das ist auch teilweise gelungen. Wenn auch nicht die Pole-Position dabei heraus springt, so doch ein Platz in der ersten Reihe. Zugegeben, Unleashed ist bockschwer und wahrscheinlich werden nur Profis am Fahrverhalten der Boliden ihre Freude finden. Aber wer dahinter gestiegen ist, wie man sein Auto über die Piste scheuchen kann, wird eine ganze Weile nicht mehr die Finger vom Spiel lassen. Auch die Helmperspektive leistet neben dem hervorragenden Sound ihren Beitrag zu einem intensiven Fahrgefühl, auch wenn dieses an manchen Stellen noch immer ein wenig arcade-lastig wirkt.
Reichlich Kurse aller Schwierigkeitsgrade, ein motivierendes Autolog, ein funktionierender Online-Modus und ausgedehnte Tuningmöglichkeiten runden das Spiel ab. Wenn EA bzw. Slightly Mad jetzt noch ein wenig an der Optik des Menüs feilt und den Simulationsanspruch beim Fahrverhalten noch ein wenig höher ansetzt, steht dem Startplatz auf Position 1 in der kommenden Saison nichts mehr im Wege. Ach ja: Driftrennen müssen in Shift 3 auch nicht mehr sein.