Driver San Francisco

Detective John Tanner is back! Allerdings nur kurz, um wenige Minuten nach Spielbeginn ins Koma zu fallen. Ab diesem Moment beginnt eine der irrwitzigsten Handlungen, die je für ein Videospiel erdacht wurden. Da der Protagonist nach einem Unfall handlungsunfähig im Krankenhaus liegt, wäre Driver San Francisco schon nach dem ausgezeichneten, circa 5minütigen Vorspann beendet.

Also musste eine Idee her, die den Undercover-Bullen doch wieder am Spielgeschehen teilhaben lässt. So spendierte Entwickler Reflections Tanner kurzerhand eine Shiftengenannte Fahigkeit. Diese erlaubt es ihm jetzt, als eine Art Geist jedes Fahrzeug zu benutzen, welches sich durch die Metropole bewegt.

Wer nach dem Lesen dieser einleitenden Zeilen die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und sich fragt, ob es nicht noch ein wenig seltsamer geht, kann beruhigt werden. Abgesehen vom Shiften, oder eigentlich genau deswegen, ist Driver SF ein wirklich klasse Spiel geworden. Diese Fähigkeit eröffnet nämlich neue und ungeahnte Möglichkeiten, an die man bisher als Spieler nicht wirklich gedacht hat.

Aber von vorn. Tanners Erzfeind Jericho soll endlich vor Gericht. Natürlich geht der Transport aufgrund korrupter Polizisten und tatkräftiger Hilfe aus der Luft ganz furchtbar daneben. Jericho kann fliehen und Tanner landet bei der anschließenden Verfolgungsjagd nach einer Kollision mit einem Truck auf der Intensivstation. Im Zustand zwischen Leben und Tod entdeckt Tanner nun seine neue Fähigkeit. Er kann in den Körper anderer Personen eindringen, allerdings nur in jene, die sich gerade am Steuer eines Fahrzeuges befinden. Fussgänger sind tabu und damit wird ein Schlußstrich unter den letzten Teil gezogen. Es gibt keine “zu Fuß” Action mehr. Auch die Schusswechsel gehören somit der Vergangenheit an. Damit der Spieler langsam an diese Fähigkeit heran geführt wird, gehen Filmsequenzen und Spiel fließend und aufwändig in Szene gesetzt ineinander über. Eben noch vom Defillibrator reanimiert, schwebt Tanner in den Fahrer des Rettungswagens und fährt sich praktisch selbst ins Krankenhaus.

Gerade diese Wechsel zwischen den hervorragenden Videosequenzen, unterstrichen von nahezu perfekten Dialogen, und den Spielabschnitten machen Driver San Francisco zu etwas ganz Besonderem. Entwickler Reflections belebt hier das flachgetretene Genre der Open-World-Racer neu. Angesiedelt irgendwo zwischen den 70er Jahren und heute wurden alle guten Ideen aus anderen Spielen genommen und zu einem bunten und vor allem erfrischenden Mix neu zusammengesetzt. Man bedient sich einerseits bei Serien wie den Straßen von San Francisco und Filmen wie Bullit und andererseits bei Spielen wie der GTA Serie oder Test Drive Unlimited. Und doch ist Driver SF ein ganz eigenständiger Titel. So betrachtet ist das Spiel eine gelungene Kombination aus Road Movie und Kinofilm mit spielbaren Episoden.

Anfangs verwirrend, freundet man sich jedoch schnell mit dem Shiften an. Den A-Knopf gedrückt, ein anderes Fahrzeug anvisiert und erneut A gedrückt, befindet man sich im neuen Cockpit. Und davon gibt es viele in San Francisco. Das Spiel ist in 8 Kapitel unterteilt, die nach und nach immer größere Bereiche der Stadt und neue Fahrzeuge freischalten. So stehen zu Beginn nur weniger sportliche Wagen wie zum Beispiel der VW Beetle zur Verfügung.  Mit jedem Spielfortschritt werden aber immer bessere und vor allem schnellere Autos freigeschaltet. Letztendlich bietet das Spiel über 130 verschiedene und lizensierte Fahrzeuge wie Tanners Muscle Car, den 1970er Dodge Challenger R/T, den 2008er Maserati Gran Turismo S, den Shelby Cobra GT 500 oder den 2011er McLaren MP4-12C . Selbst Busse und Trucks können gesteuert werden. Und wer den Delorean aus “Zurück in die Zukunft” erhält und auf über 88 Meilen beschleunigt, staunt, was dann passiert.

Sinnfreies hin- und herhüpfen, sorry, shiften zwischen verschiedenen Fahrzeugen wäre aber nur kurzzeitig motivierend. Daher ist Driver San Francisco in verschiedene Story- und Nebenmissionen unterteilt. Während es in der Story darum geht, Jerichos finstere Pläne zu durchkreuzen und ihn endlich seiner gerechten Strafe zuzuführen, lockern die Aktivitäten und Mutproben das Spiel nicht nur auf, sie bringen auch WP, also Geld. Diese WP werden benötigt, um neben dem Jäger auch den Sammler im Spieler zu befriedigen. WP kann man in gekauften Werkstätten in neue Fahrzeuge oder Upgrades investieren. So gibt es den Fähigkeitsbalken, der die Zeit des verfügbaren Nitros verlängert oder die Aufladegeschwindigkeit minimiert, bis selbiges wieder zur vollen Verfügung steht. Weiterhin kann ein Symbolfinder gekauft werden. Dieser zeigt Symbole, wie die zu sammelnden Filmklappen an. Je mehr man davon sammelt oder je mehr Mutproben man erledigt, desto mehr Herausforderungen werden freigeschaltet. Diese sind aber eher schmückendes Beiwerk, in denen unter anderem an bekannte Filme angelehnte Rennen gefahren werden.

In den Missionen versteht der Spieler aber dann, was es mit dem ominösen Shiften nun wirklich auf sich hat. Und hier wird endlich klar, was Reflections eigentlich für eine Innovation gelungen ist. In einer Story-Mission im dritten Abschnitt sollen drei gestohlene Tankwagen aufgehalten werden. Dies wäre aber mit nur mit Tanners Challenger allein unmöglich zu schaffen. Statt nun zu versuchen, mit Hilfe einer lustig blinkenden Polizeikelle die Diebe zu bitten, die Trucks zu stoppen und rechts ran zu fahren, shiftet Tanner in einen Linienbus des Gegenverkehrs. Diesen lenkt er nun frontal in den Truck, der daraufhin gewaltigen Schaden nimmt. Mit RB geht es zurück in den eigenen Wagen, um sich dann erneut in ein möglichst großes Fahrzeug zu shiften. Dabei hat man auch nicht unendlich Zeit, denn die Mission muss beendet werden, bevor alle drei LKW ihr Ziel erreichen.

Auch in den Aktivitäten bietet das Shiften neue und ungeahnte Möglichkeiten. Zu solchen Aktivitäten gehören auch Straßenrennen. Leider sind die Gegner trotz manchmal einsetzender Gummiband-KI recht flink unterwegs. Um sich hier einen kleinen und unfairen Vorteil zu verschaffen, shiftet man in ein anderes Fahrzeug, um seine Kontrahenten zu stoppen oder mit Totalschaden komplett aus dem Rennen zu nehmen. Besonders spaßig sind hier Busse oder Trucks, die man als Querverkehr einfach in den Weg stellt und so die komplette Straße blockiert. Dies ist besonders sinnvoll, wenn man selbst in Führung liegt und sich einen uneinholbaren Vorsprung verschaffen möchte.

Wer aber gerade auf Storymissionen oder Aktivitäten keine Lust hat, wendet sich den reichlich vorhandenen Mutproben zu. In diesen geht es einzig darum, kleine oder große Aufgaben zu erledigen und WP zu sammeln. Zu diesen Aufgaben gehören Sprünge, Drifts und Temporunden. So soll beispielsweise der Puls eines Fahrlehrers auf über 180 gebracht werden, man soll mit vier verschiedenen Fahrzeugen innerhalb von 30 Sekunden über einen Autotransporter springen oder einen 30 Meter Drift hinlegen. Driver San Francisco deckt also die gesamte Palette der Arcade-Racer vollständig ab. In den ersten beiden Abschnitten steht nur eine kleine Karte von San Francisco zur Verfügung und man sucht sich seine Missionen durch herumfahren in den Straßen. Ab der dritten Mission kann Tanner dann praktisch über der Stadt “schweben” und so gezielt Missionen anwählen. Neben allen Missionen ist San Francisco eine frei befahrbare Welt, in der man cruisen kann, ohne eine Aufgabe erledigen zu müssen.

Driver San Francisco kommt mit 60 Bildern pro Sekunde daher. Das verleiht dem Spiel in den Fahrsequenzen Dynamik, sorgt aber an zum Beispiel Häuserwänden auch für eine gewisse Detailarmut. Aber wer schaut schon wirklich beim Fahren und voller Konzentration auf die Straße nach rechts und links, um sich Häuser anzuschauen? Da lohnt sich vielmehr der Blick auf die fahrbaren Untersätze. Alle Autos sind hervorragend in Szene gesetzt und glänzen im strahlenden Sonnenschein. Letztendlich geht es aber um Action auf dem Fahrersitz eines möglichst schnellen PS-Monsters. Und diese Action spielt sich sehr arcadig. Man bemerkt zwar die Unterschiede zwischen einem Toyota Prios und einem Camaro aufgrund des Motorsounds und der Geschwindigkeit, aber im Fahrverhalten ähneln sich alle Fahrzeuge, auch wenn die 70er Jahre US-Modelle mehr zum Aufschaukeln und Ausbrechen tendieren. Aber auch die eher geringen Unterschiede im Fahrverhalten tun dem Spielspaß keinen Abbruch, wenn man mit annähernd 200 Sachen über die Autobahn prescht, um ein Rennen zu gewinnen.

Wie in Spielen dieser Art üblich, gibt es verschiedene Perspektiven, aus denen man sein Auto steuern darf. Ich fahre aus alter Gewohnheit und weil sie mir am Besten liegt, die Motorhauben-Ansicht. Allerdings ist diese nach einem Frontalzusammenstoß aufgrund der verschobenen Haube nur bedingt fahrbar, weil sie dann den unteren Teil des Sichtfeldes einnimmt. Aber nicht nur die Motorhaube erleidet sichtbare Dellen, auch alles anderen Teile eines Fahrzeugs sehen nach wenigen Minuten Spielzeit nicht mehr ganz taufrisch aus. Dafür sorgt ein Schadensmodell, dass den Namen auch verdient. Beulen, Kratzer, abgerissene Schürzen bis hin zum mobilen Exodus machen einen Großteil der grafischen Pracht aus.

Da auch die beste Singleplayer-Story einmal erledigt ist, bietet das Spiel einen Multiplayer-Modus, der mit schier unüberschaubarer Vielfalt daher kommt. Sage und schreibe 19 (in Worten: neunzehn) Multiplayer-Modi wurden ins Spiel gepackt, die sich in elf Online- und acht Split-Screen Spiele aufteilen. Diese Onlinemodi sind mit bis zu acht Teilnehmern spielbar. Zum Zeitpunkt des Tests waren allerdings erst wenige Spieler unterwegs, so dass hier noch keine hundertprozentige Aussage über den Spielablauf getroffen werden kann. Aber was ich bisher gesehen habe, lässt hoffen. Verfügbar waren bisher nur die beiden Modi Spurleger und Fangen. Im Spurleger geht es darum, dem Delorean zu folgen und in seiner leuchtenden gelben Spur Punkte zu sammeln, bei Fangen muss man als Gejagter so lange wie möglich im Besitz eines Pokals bleiben, den man bei Gegner-Berührung aber an diesen abgibt. Ein privates Spiel konnte ich noch nicht eröffnen, ebenso wurde scheinbar mein bisher erreichter Online-Level heute mit Release des Spiels wieder auf Null zurück gesetzt. Wer hier übrigens Level 5 erreicht, darf dann mit seinen gekauften Boliden ins Spiel einsteigen.

Fazit:

Driver San Francisco belebt nicht nur die totgesagte Serie wieder, es bringt mit der Idee des Shiftens frischen Wind in das Genre der Open-World-Racer, auch wenn diese Funktion in manchen Missionen manchmal überstrapaziert wirkt und ich mir gelegentlich ein “stinknormales” Rennen als Mission gewünscht hätte. Unter dem Strich kommt dennoch ein für mich persönlich klasse Spiel heraus, dass mich noch eine Weile an San Francisco fesseln wird. Mehr als 50 Aktivitäten und 80 Herausforderungen sorgen weit über die Story hinaus für langanhaltende Motivation, dazu kommt ein umfangreicher Online-Modus.

Abgesehen vom Drumherum bietet Driver SF eine spannende Story, wenn man sich darauf einlässt, das Tanner diese aus seinem Koma heraus erlebt. Videosequenzen mischen sich mit spielbarer Action, passende Dialoge in egal welchem Fahrzeug runden ein ungewöhnliches Spiel ab. Das Straßennetz bietet alles, was das Racerherz begehrt. Breite Highways und Hauptstraßen wechseln sich mit hügeligen Seitengassen ab, ich hatte gelegentlich das Gefühl, als Karl Malden eine Episode des Serienklassikers Die Straßen von San Francisco live nachzuspielen. Wer also keine Berührungsängste mit einer geisterhaften Fähigkeit in einem Arcade-Racer hat, greift zu!