Manchmal sind Blicke verklärt und man gewinnt aufgrund positiver äußerer Einflüsse einen anderen Eindruck, als dem, der der Realität nahe käme. So geschehen bei Fighters Uncaged, welches ich auf dem UBISOFTS FANTASTIC FIVE-EVENT 2010 zusammen mit den Entwicklern anspielen durfte und konnte. In diesen knapp 15 Minuten war dieses Spiel für mich der Kaufgrund für Kinect. Nun hat mich die Realität wieder und ich schwanke, weil ich nicht wirklich weiß, wie ich das Spiel einordnen soll.
Kinect … der heilige Gral der Videospiel-Geschichte, ehemals als Project Natal angekündigt und 2010 auf der gamescom das erste Mal der breiten Öffentlichkeit präsentiert … mit Party- und Fitness-Spielen, wie sie auf der Wii schon seit einigen Jahren fast im Wochentakt veröffentlicht werden. Und nun kommt neben den vielen Casual-Games mit Fighters Uncaged ein Spiel für echte Kerle, ein Spiel, bei dem man sich so richtig auf die Nuss hauen darf, ein Spiel, um latent vorhandene Aggressionen vor der Konsole abzubauen. Also rein in den Kampfanzug, den schwarzen Gürtel ordentlich gebunden und dem Gegner gezeigt, wo der Frosch die Locken hat.
O.K., ich kann mir kein passendes Alter-Ego aussuchen, geschweige denn, das vorhandene meinen Wünschen entsprechend anpassen. Also muss ich mit dem recht übersichtlichen Kameraden im Kapuzen-Pulli vorlieb nehmen, aber Bruce Lee war ja auch von der Figur her ziemlich überschaubar. Warum soll also mein computerisiertes Ich nicht auch so eine genial-brutale Kampfmaschine sein? Aber bevor ich mich auf den Straßen mit den wirklich großen, breiten und hässlichen Jungs anlegen darf, heißt es üben … und zwar in einer Sporthalle, in der mir mein Coach die Feinheiten des Kampfsportes an der Konsole näher bringt. Das beginnt mit einfachen Faustschlägen und Tritten auf kurze, mittlere und lange Distanz und endet beim Block und komplizierten Kombinationen.
Und in diesem Tutorial hatte ich als langjähriger Muay Thai Sportler meine ersten Schwierigkeiten, denn Kinect erkennt euch nur, wenn ihr leicht breitbeinig statt versetzt im Grundstand vor dem Sensor steht. Dies wiederspricht damit so ziemlich jeder mir bekannten Kampfsportart und erfordert zumindest vor der Konsole ein massives Umdenken. Aber zumindest gehen Schläge und Tritte auch virtuell dahin, wohin sie auch im echten Leben treffen müssen, wenn auch nur in drei Höhenunterschieden, nämlich tief, Körpermitte oder zum Kopf. Kinect erkennt bei diesen Trainingseinheiten recht gut, welches Körperteil denn in Bewegung ist. Allerdings lassen sich hier Schläge und Tritte auch ohne jegliche Wucht und Schnelligkeit träge ausführen und werden trotzdem am Bildschirm mit Kraft ausgeführt. Wer sich also auf Fighters Uncaged einlässt, sollte den entsprechenden Elan mitbringen und auch vor dem Bildschirm Einsatz zeigen, um sich nicht den Spaß zu nehmen.
Richtig schwierig wird es dann aber bei den fortgeschrittenen Übungen wie zum Beispiel dem Ausweichen oder dem Kopfstoß. Hierzu wird der Oberkörper entsprechend nach vorn oder hinten geneigt. Und hier scheint der Sensor massive Schwierigkeiten bei der Bewegungserkennung zu haben. Mein Sensor steht auf einem Phonotisch vor dem Monitor in etwas über 60 Zentimeter Höhe, also den Anweisungen nach korrekt und funktioniert so bei allen anderen Kinect-Spielen bisher völlig problemlos. Da Kinect mich nun von etwas weiter unten nach oben fokussiert, scheint hier die Erkennung für den Oberkörper komplett zu entfallen. Weder gelingen mir Kopfstöße, noch kann ich entsprechend ausweichen. Ist dies beim Training oder Tutorial noch zu ignorieren, so sind Kämpfe ohne Deckung einfach nicht zu gewinnen.
Die Kämpfe selbst werden dann in stetig steigenden Ligen absolviert. Ihr beginnt in der untersten Liga und kämpft euch durch verschiedene Locations wie einem Hafengebiet oder einem Park an die Spitze der Fighter. Dabei müsst ihr ständig auf die Bildschirmanzeige in der unteren Hälfte des Monitors achten. Dort wird euch die Distanz zum Gegner angezeigt und welche Aktion dieser als nächstes ausführen wird. So könnt ihr dann versuchen, Low-Kicks mit dem Schienbein zu blocken oder aber ihr weicht Schlägen zum virtuellen Kopf aus. Aber genau hier beginnt Fighters Uncaged zum Glücksspiel zu werden. Denn alles, was im Tutorial noch sauber funktioniert hat, mutiert während des Fights zu einer unkontrollierten Schlägerei. Wenn ihr nicht absolut still steht, wird jede Bewegung der Schulter oder ein Tänzeln auf den Füßen als eine wie auch immer geartete Bewegung interpretiert und es folgt ein Schlag oder ein Kick, den ihr nicht wirklich ausgeführt habt.
Weiterhin sind Kombinationen, also schnelle Schlag- und Kickfolgen so gut wie unmöglich, denn nach jeder Aktion geht euer Kämpfer wieder in die Grundhaltung. Es ist mir nicht möglich, eine einfache, aber schnelle Links-Rechts-Kombination zum Kopf, gefolgt von einem Low-Kick auf den Oberschenkel unterbrechungsfrei an den Mann zu bringen. Damit wird Fighters Uncaged als Kampfspiel schon fast witz- und wirkungslos. Man muss hier ähnlich wie bei der Quick-Time-Event Steuerung in Heavy Rain immer auf die nächstmögliche Aktion warten und dies nach Möglichkeit, ohne sich groß zwischendurch zu bewegen.
Dabei macht die Grafik wirklich was her. Ihr seht euren Kämpfer weitestgehend von hinten und „steht“ eurem Gegner gegenüber, um so den bestmöglichen Blickwinkel auf das Geschehen zu haben. Die Kulissen finde ich überaus gelungen, allerdings ist die Sprachausgabe der Gegner doch manchmal daneben. Da steht mir ein tätowierter Irokese namens Ratface gegenüber und ich habe das Gefühl, der möchte mich höflich auf einen Tee einladen, statt sich mit mir zu messen.
Fazit:
Fighters Uncaged hätte der Titel werden können, der Core-Gamer zum Kauf von Kinect animiert. Leider ist der Schuss irgendwie nach hinten losgegangen. Für Kampfsport-erprobte Menschen ist dieser Titel schon alleine aufgrund der breitbeinigen und damit realitätsfremden Grundstellung nichts, da Kinect sonst die Beine nicht erkennt. Auch wird es schwierig sein, einem solchen Spieler zu vermitteln, sich so wenig wie möglich zu bewegen, damit Kinect die nächste Aktion sauber erkennt und keine willkürlichen Aktionen ansetzt.
Wer allerdings keine Erfahrung mit Kampfsport hat und somit unvoreingenommen vor der Konsole steht, hat sicher seinen Spaß mit dem Spiel. Denn nichts weiter möchte Fighters Uncaged sein: Ein Spiel und kein Trainingsprogramm für angehende Straßengang-Mitglieder. Ich persönlich ziehe aber hier doch realen Sport vor, auch wenn hier die Schmerzen und blauen Flecken echt sind.