„Ächz … drück … wring … da muss doch noch ein wenig Kohle … äääh, Gears of War rauszuquetschen sein …“. Eigentlich war Gears of War nach Teil 3 vollständig erzählt, Ende der Geschichte, Thema erledigt, Ruhe in Frieden, Marcus. Aber offensichtlich geht da noch was. Solange die XBOX 360 noch in den Wohnzimmern steht, muss die Kuh gemolken werden. Also wird Judgment nachgelegt und fertig ist das Prequel zu drei actiongeladenen Vorgängern.
Wer als Spieler nun gehofft hatte, endlich die komplette Geschichte von A bis Z aufgedröselt zu bekommen, warum die Erde angegriffen und fast ausgelöscht wird, muss wohl auf einen fünften Teil warten. Denn auch das Prequel steigt ohne jegliche Vorgeschichte zum Emergency Day in die Handlung ein, Story gibt es wieder nicht. Nun wurde in Gears of War schon immer mehr gehandelt, denn eine große und emotionale Geschichte erzählt, aber irgendwie hätte es diesmal doch mehr sein dürfen. Nach Marcus Phoenix und Konsorten, die stets nur andeutungsweise etwas aus ihrem Leben vor dem Angriff erzählt haben, aber dafür mehr mit markigen Sprüchen glänzten, hatte ich beim Kilo Squad mehr Emotionen erwartet. Aber auch hier wieder nichts als einen gelegentlich eingeworfenen Spruch. Es bleibt wohl dabei, dass Halo anspruchsvoller und intellektueller ist und somit eine Geschichte erzählt. Action ist dort das Mittel zum Zweck, um den Handlungsstrang voran zu treiben, während bei GoW die pure Ballerei und das Geschnetzel mit der Kettensäge die Story bleiben wird.
Zu Beginn der Geschichte … sorry, von Gears of War 4, Judgment eben, werden die Protagonisten vor ein Kriegsgericht gezerrt, welches eher einem mittelalterlichen Tribunal gleicht. Denn Ankläger und Richter in einer Person ist Colonel Ezra Loomis. Was genau euch vorgeworfen wird, geht aus dem darauf folgenden Spiel hervor, denn eure Verteidigung wird anhand von Erinnerungen erzählt, so wie sich alles aus eurer Sicht und nicht der der Anklage zugetragen hat. Nach weniger als zwei Minuten Geplänkel ist man also wieder mitten drin in Gears of War und nun darf geschossen, gefetzt und gemeuchelt werden, was das Zeug hält.
Bis an die Zähne bewaffnet, die Knarren auf alles gerichtet, was irgendwie außerirdisch oder sonst wie feindlich gesinnt sein könnte, steigt ihr ins Geschehen ein. Was sich bewegt, wird umgemäht. Ist das Magazin leer, wird nachgeladen oder eine auf dem Boden herum liegende Kanone verwendet. Wer besonders schnell nachlädt und das Active-Reload beherrscht, darf auch schneller wieder rumballern. Simpel und gradlinig geht es so von Schauplatz zu Schauplatz, nur dass der Auftrag einen anderen Namen erhält und sich das Setting ein wenig ändert. Blutrünstige Spielernaturen werden wie schon in den Vorgängern alles daran setzen, Gegner im Nahkampf mit der Kettensäge möglichst kleinteilig zu sezieren. Kann ja sein, dass tief im Inneren einer Made doch noch etwas steckt, was man bei der vorherigen übersehen hat. Und so splattern Eingeweide und spritzen erneut literweise Alienblut an das Innere des Bildschirms. Mehr brauchte Gears of War noch nie.
Die Technik ist wieder kritiklos. Die Steuerung ist selbst für Neueinsteiger innerhalb weniger Sekunden intuitiv verstanden und auch das Deckungssystem ist wieder an Bord. Kleine Icons und kurze Erläuterungen auf dem Bildschirm machen auch bei Judgment ein Tutorial und eine gedruckte Anleitung überflüssig. Gegner sind als solche zu erkennen und wie man Maden, Tausendfüßler und andere möglichst schnell und effektiv in die ewigen Alienjagdgründe schickt, hat man nach wenigen Minuten selbst heraus gefunden. Im Notfall wird solange geballert, bis das anvisierte Ziel umfällt oder zerplatzt. Da das je nach gewähltem Schwierigkeitsgrad unterfordern könnte, darf man sich mit einer zu Beginn einer Mission auftauchenden Declassified-Option selber unter Druck setzen. Wird die Aufgabe angenommen, gilt es die Mission besonders schnell abzuschließen, mit einer Alienwaffe zu hantieren oder mit wenig Munition auszukommen. Wird das geschafft, gibt es mehr Sterne, die am Ende eurer Bewertung gutgeschrieben werden. Sterne schalten Charakter- oder Waffenskins frei, vierzig davon die Aftermath-Kampagne.
So dünn wie Handlung und Spielablauf sind, so dick wird für die Grafik aufgetragen. Annähernd perfekte Licht- und Schatteneffekte, donnernde Explosionen, Rauchwolken, Geschosssalven und Gegner, gegen die die klassische Alienkönigin aussieht wie eine kleine Honigbiene, sorgen für Spannung vor jeder Häuserecke. Und literweise Alienblut, aber das hatte ich schon erwähnt. Die XBOX 360 zeigt hier noch einmal eindrucksvoll, was noch aus der alten Technik heraus zu holen ist, bevor vermutlich Ende 2013/Anfang 2014 das Rentenalter erreicht ist. Auch am Sound gibt es nichts herum zu kritteln. Die deutsche Synchro ist gut und die Musik den jeweiligen Situationen angepasst. Aus den Boxen klingen mal ruhigere Stücke, die dann zu brachialen Klängen wechseln. Alles in allem nichts wirklich Aufregendes, aber immer zur Situation passend.
Die Kampagne selbst ist für geübte Spieler relativ schnell erledigt, aber Gears of War lebt seit je her von seinem Multiplayer-Modus und seiner 4-Spieler-Kampgane. Und das reißt viel wieder heraus. Der Horde- jetzt Überlebens-Modus hat allerdings nur zehn Wellen, dafür gibt es einen neuen Overrun-Modus. Hier geht es ganz schlicht formuliert darum, als KOR oder Locust das Alienloch zu öffnen oder zu schließen. Klingt simpel? Ist es auch, aber die Neuerung, dies nun klassenbasiert zu spielen, macht den Reiz aus. Ihr müsst euch vor Spielbeginn entscheiden, ob ihr Soldat, Pionier, Sanitäter oder Späher sein wollt, denn diese Auswahl hat Auswirkungen auf den Spielablauf. Ich fand den Horde-Modus in Teil 3 mit den richtigen Spielpartnern schon eine angenehme Abwechslung zum Ego-Shooter-Multiplayer-Capture-the-sonstwas-Einerlei, aber mit dem Overrun-Modus und der Klassenauswahl erhält Gears of War nun taktische Züge.
Fazit:
Gears of War 1 hat meiner XBOX den RoD beschert, GoW 2 habe ich ausgelassen und bei GoW 3 gelegentlich den Horde-Modus gespielt. War das Prequel also nötig? Keine Ahnung, für mich eher nicht! Gears-Fans werden es aber wieder genießen und sich nach der zu kurzen Kampagne kopfüber in den Overrun-Modus stürzen. Die Technik ist so stark, wie die Handlung flach ist, aber das war bei Gears of War immer schon so, auch wenn Judgment bei der Geschichte noch einmal abfällt. Und damit sollte die Serie zumindest auf der 360 ehrenvoll zu Grabe getragen werden. Denn spätestens mit einer neuen XBOX wird auch Marcus Phoenix wieder reanimiert. Der hat mir bei Judgment doch irgendwie gefehlt.