Nick und Kee sind zwei in die Jahre gekommene Videospieler der ersten Stunde. Als Verlags-Assistenten eines Magazins besteht ihr einziger Lebensinhalt aus Videospielen. Während Kee mehr der Zocker ist, beschäftigte sich Nick schon als 14jähriger ausgiebig mit der Technik hinter dem Monitor und so wird in Nicks Junggesellenbude auch an diesem Wochenende wieder einmal der C64 entstaubt und angeschlossen.
Denn die oberste Derektive beim Retro-Gaming lautet: Du musst nicht nur die Software, sondern auch die Hardware aufbewahren. Während dieser Old-School Session, in der beide mal wieder darüber sinnieren, dass früher alles besser war und das Klassiker alles sind, “was in meiner Jugend cool war”, stolpern die beiden über eine scheinbar versteckte Botschaft in dem Spiel Raid over Moscow:
WELCOME TO DATACORP
Und mit dieser Zeile beginnt für die beiden eine Reise durch die Geschichte der Videospiele. Denn hinter dieser Botschaft vermuten Nick und Kee eine Verschwörung und daraufhin verbringen die beiden Alt-Hacker ihren Sommerurlaub in den USA. Sie folgen einer sauber gelegten Spur aus Brotkrümeln. So startet ihr Trip bei Walter Day, der in den 80er Jahren mit dem Twin Galaxies National Scoreboard kurzeitig Berühmtheit erlangte, führt sie weiter über Ataris angeblichen Landfill in Alamogordo, bei dem die Firma tonnenweise E.T. und Pac-Man Module, sowie Konsolen in einer Mülldeponie verschwinden ließ und endet schließlich in den diversen alten Spielhallen von Los Angeles. Dabei lässt die Story keine noch so unbekannte Verschwörungstheorie aus, die in den Anfangszeiten der Videogames auf den Schulhöfen die Runde machten.
Der Autor Constantin Gillies präsentiert hier eine wunderbar recherchierte Geschichte, die vor Hintergrundinformationen schier explodiert. Denn wer kennt denn wirklich noch jedes Easter-Egg, das in den diversen alten Games versteckt war? Wer kennt noch das Gefühl, das erste Mal in einem Out Run- oder After Burner Automaten von Sega in der Spielhalle gesessen zu haben? Dies alles wird mit Episoden aus Musik und Filmen der 80er Jahre garniert. In einem Punkt irrt sich der Autor allerdings: Denn das man mit einem kleinen Elektroschock, den man einem Pac-Man, Galaxian, Lady Bug oder Scramble Automaten verpasste, Freispiele erhalten konnte, ist keine Fabel sondern selbst erfahrene und erlebte Wahrheit. In Ermangelung eines Elektroschockers baute ich den Zündmechanismus aus einem damals sündhaft teuren Nachfüllfeuerzeugs meines alten Herren aus. Mit dem konnte man dem Automaten einen kleinen elektrischen Schlag versetzen, der einem die Hausarbeit zur Taschengeldaufbesserung ersparte.
Bei seiner Zeitreise in die Vergangenheit lässt Gillies kein noch so unbekanntes Spiel aus, philisophiert über Doom, Galaxian, Out Run sowie etliche andere Ikonen und erklärt, wie Castle Wolfenstein eigentlich zu seinem Namen kam. Die Geschichte wird wunderbar vorgetragen von David Nathan, der nicht nur die Synchronstimme von Johnny Depp ist, sondern auch sämtliche erschienenen Hörbücher von Stephen King liest, zuletzt das 52 Stunden Epos “ES”. Bei David Nathan habe ich das Gefühl, dass auch er die von ihm vorgetragene Geschichte am eigenen Leib erfahren und erspielt hat. Garniert wird alles mit kleinen Sprechrollen von Simon Jäger (Synchronstimme von Matt Damon) und Joachim Kerzel (Synchronstimme von Anthony Hopkins), die aus einem Hörbuch stellenweise ein Hörspiel werden lassen. Simon Jäger ist als Hörbuchsprecher bekannt aus Büchern wie “Der Augensammler” (Fitzek), “Die Bibel nach Biff” (Moore) oder “Der Patient” (Katzenbach). Joachim Kerzel kennt man aus Romanen wie “Ivar Leon Mengers Darkside Park” (Menger, Beckmann, Rost) und vielen anderen.
Marc Fehse hat zu diesem Hörbuch also die Creme der deutschen Synchronsprecher aufbieten können und allein dafür lohnt sich nicht nur das Reinhören. Dieser Roman ist als Liebeserklärung an die 80er ein Pflichtkauf für die spielenden jetzt Enddreißiger und älter, die sich auf eine Reise in ihre Kindheit begeben möchten. Aber auch den Jüngeren, die erst mit Wii, XBOX und Playstation “groß” geworden sind, möchte ich Extraleben ans Herz legen. Noch nie wurde Videospielgeschichte so witzig und umfangreich präsentiert.
Und da ich ohnehin alle alten Konsolen angeschlossen zur Hand habe, werde ich jetzt an meinem allerersten Atari VCS mit Holzblende und 6 Schaltern von 1978 eine Runde Pac-Man, Galaxian, Asteroids und Missile Command zocken. Mein Atari ist nämlich nicht in Alamogordo gelandet und läuft noch heute wie am ersten Tag.
Nach einer Idee von Constantin Gillies
Dialogbuch: Constantin Gillies
Regie: Marc & Carsten Fehse
Gesamtleitung: Marc Fehse
Produktion: Marctropolis
Idee/ Umsetzung: Coners | Fehse
Cover: CSW Verlag | Enno Coners | Marctropolis
Sound FX & Musik: Marcel Schweder
Release: Oktober 2011
Dauer: ca. 500 Minuten
Webseite www.hoerbuch-extraleben.de
Download bei www.claudio.de
Website von David Nathan