Gran Turismo, ein Name wie Donnerhall. Über allen anderen Titeln in höheren Sphären schwebend und über Jahre hinweg in seiner Spielbarkeit unerreicht, bis … ja, bis wann eigentlich? Wann merkte man Gran Turismo sein Alter das erste Mal an? Wann stellte man als Fan wenn auch wiederstrebend fest, dass da noch andere Spiele sind, die inzwischen mindestens aufgeschlossen hatten?
Wollte man sich das mit GT5 noch nicht wirklich eingestehen, wird es jetzt mit dem sechsten Teil deutlich. Gran Turismo hat zumindest in dieser Konsolengeneration seinen Zenit überschritten.
Einst als „real driving simulator“ angetreten, hob der Titel ein ganzes Genre in eine neue Dimension. Unzählige Fahrzeuge, die man zu Beginn der Serie sogar noch bis zum Supersportwagen ausbauen und vor allem lackieren durfte, sensationelle, selbstdesignte Strecken wie Deep Forest, Grand Valley oder Trial Mountain und eine fantastische Fahrphysik zeichneten Gran Turismo seit jeher aus. Jetzt sitze ich vor der PS3 und überlege, was sich eigentlich seitdem geändert hat? Es gibt noch immer massenhaft Traumautos, es sind noch immer die gleichen Strecken Deep Forest, Grand Valley oder Trial Mountain und die Fahrphysik ist wie immer gutklassig. Aber es fand keine erkennbare Weiterentwicklung statt, das Spiel stagniert und bietet wenig, was man nicht schon in fünf Teilen zuvor gesehen hätte. Einzige Ausnahme ist der Mond. Ja, richtig gelesen, es sind tatsächlich drei Strecken auf dem Mond zu fahren. Nett, aber irrelevant.
Wie immer beginnt man seine Karriere als Gran Turismo Anfänger mit einer aus sportlicher Sicht gesehen besseren Gehhilfe. Im sechsten Teil heißt euer erstes Fahrzeug Honda Fit RS. Als Familienkutsche für den täglichen Gebrauch sicher eine zweckmäßige Alternative für den Stadtverkehr, auf der Rennstrecke eben ein … Auto. Aber das macht seit je her den Reiz eines jeden Gran Turismo aus. Alle Anfängerrennen wurden mit Fahrzeugen bestritten, denen nicht unbedingt das Attribut „Supersportler“ anhaftet. Und so startet man erwartungsfroh und von purer Vorfreude getrieben in die Karriere von Gran Turismo 6, die man Dank des aufgeräumten Menüs diesmal auch sofort findet.
Auf der Rennstrecke ist Gran Turismo 6 endlich wieder das gewohnt qualitativ hochwertige Rennspiel. Beindruckende Grafik auf der Strecke kombiniert mit einem zumindest anfangs tollen Fahrgefühl lassen sich den Gran Turismo Profi schnell wieder heimisch fühlen. Die Zusammenarbeit mit dem Reifenhersteller Yokohama kann ich aber beim Fahren selbst nicht wirklich erkennen. Ja, wie immer merkt man, wenn man über die Curbes schreddert oder sich gleich komplett in den Kies verabschiedet. Auch verschiedene Beläge kann man mit viel Feingefühl unterscheiden, aber ob das an Yokohama liegt?
Und schnell wird ein Problem deutlich. Gran Turismo 6 Autos fahren sich steril. Das liegt an den zu Anfang vollständig aktivierten Fahrhilfen. Wer tatsächlich Unterschiede erfahren möchte, schaltet davon eine nach der anderen ab. Beginnen sollte man hier ohnehin bei der Ideallinie auf der Strecke und den ungenauen Bremspunkten. Wird die Linie rot, sollte man bremsen. Leider scheinen aber diese Bremspunkte universell für alle Fahrzeuge zu gelten. Es gibt keinen Unterschied zwischen einem Kleinwagen und einem Tourenwagen, geschweige denn der Serienbremse und einer auf Motorsport getunten Anlage. Es ist klar, dass ich mit einem Sportwagen viel später anbremsen kann, als mit der Straßenversion eines Mazda MX5. Aber egal welches Fahrzeug man gerade bewegt, an so gut wie jeder Markierung kann man noch etliche Meter später das Bremspedal betätigen, um hier noch Sekunden gut zu machen.
Und damit offenbart sich der nächste Punkt, der mir den ganz großen Spielspaß erneut nimmt. Die KI ist weiterhin strunzdumm. Stur wird die eigene Ideallinie verfolgt, so dass man an so gut wie jeder Kurve innen und sogar außen am Gegner vorbei kommt. Erschwerend kommt hinzu, dass es auch in Teil 6 keine Rolle spielt, ob ich einem Fahrzeug dabei in die Seite rase, weil ich zu spät bremse. Es lassen sich noch immer gegnerische Autos als „Bremshilfe“ verwenden, um damit flotter durch die Kurven zu kommen. Darauf baut das nächste Problem auf: Das Schadensmodell ist optischer Natur und hat keinen Einfluss auf das Fahrverhalten. Ihr dürft auch in Rom mit 217 km/h in eine Mauer fahren, ohne befürchten zu müssen, mit Totalschaden ausscheiden zu müssen. Ebenso werden Abkürzungen wie in den Schikanen in Monza weiterhin nicht bestraft. Statt die S-Kurven zu fahren, nagelt man einfach fast geradeaus darüber hinweg und überholt so im besten Fall bis zu drei Fahrzeuge. Absurd wird es jedoch auf dem Circuit de la Sarthe, wo man fast ungebremst durch die beiden Hochgeschwindigkeitsschikanen und die beiden S-Kurven im Zielbereich rasen kann. Mit dieser schon massiven Ansammlung von Fehlern sind wieder einmal online all jene im Vorteil, die lieber Autoscooter denn realistische Autorennen fahren. Wer sich an die Spielregeln hält, hat keine Chance.
So zieht man seine Runden und absolviert das erste Rennen. Danach aber nerven mich schon wieder Ungereimtheiten, die in ein jedes neues Gran Turismo mit übernommen werden. Ja, man hat das Menü jetzt aufgeräumt, das Kacheldesign scheint inzwischen überall das digitale Maß aller Dinge zu sein. Aber was nützt mir ein übersichtliches Menü, wenn ich innerhalb einer Rennserie noch immer ein Rennen verlassen muss, um mich dann in das nächste zu klicken? Ist es so schwer, einen Button mit der Aufschrift „nächstes Rennen“ zu implementieren? Warum finde ich den nur innerhalb der die Rennserie abschließenden Meisterschaft? Gleiches gilt für die Lizenzprüfungen. Lizenz anklicken, Lizenz fahren, Lizenzprüfung verlassen, nächste Lizenzprüfung anklicken. Auch hier keine Möglichkeit, die nächste Prüfung direkt anzuwählen. Und warum muss ich nach jedem Rennen die Wiederholung mit dem Startbutton beenden, während alle anderen Punkte mit der X- oder O-Taste ausgewählt werden? Ich will die Wiederholung nicht sehen, kann sie aber nirgendwo in den Optionen abschalten.
Und noch etwas zu den Lizenzprüfungen. Im fünften Teil als marginal schmückendes Beiwerk im Menü versteckt, waren diese bis zum vierten Teil immer ein existentieller Bestandteil. Man musste diese erwerben, um die nächste Rennserie überhaupt bestreiten zu dürfen. Dieses System wurde in Teil 5 gekippt und nun wieder implementiert. Aber eben wieder nicht so ganz richtig. Wenn ich die Anfänger-Serie beendet habe, erschließt sich mir der Sinn nicht, nun Prüfungen zu fahren, die ich bereits in dieser Serie auf der Strecke erledigt habe? Ich bin Kurven gefahren, warum soll ich nun eine Prüfung ablegen, die mich eine simple Kurve fahren lässt? Ja, letztendlich schalte ich mit der Lizenz die nächste Rennserie frei, aber das Lizenzsystem wirkt auch in Gran Turismo 6 aufgesetzt. Obendrein macht sich auch hier die mangelnde Intelligenz der Gegner bemerkbar. In einer Abschlussprüfung müsst ihr vor eurem einzigen Gegner das Ziel erreichen. Kommt ihr von der Strecke ab oder rammt ihr das andere Fahrzeug, werdet ihr disqualifiziert und müsst erneut starten. Klingt logisch und fair. Leider passierte es mir aber regelmäßig, dass die KI rücksichtslos und stur ihrer Ideallinie folgte, die nicht die meine war, mich dabei rammte und ich erneut beginnen durfte. Weder logisch noch fair!
Grafisch zumindest kann Gran Turismo im sechsten Teil überzeugen. Wer sich über Tearing, gelegentlich aufploppende Hintergründe oder Kantenflimmern aufregt, muss offensichtlich auf einem Sonntagsausflug mit Oma unterwegs sein. Rennen fahren kann er nicht. Denn dort bei voller Konzentration unter Höchstgeschwindigkeit fällt davon nichts auf. Sich an solchen grafischen Schwächen hochzuziehen, ist Erbsenzählerei. Wenn man an der Grafik etwas kritisieren möchte, sind es vielleicht etliche aus Teil 5 übernommene Standard-Cockpits, die noch immer nicht dem realen Fahrzeug entsprechen. Aber auch das ist mir relativ egal, weil die Innenansicht zu wenig Übersicht bietet und ich Gran Turismo seit jeher aus der Motorhaubenansicht fahre. Ein grafisches Schmankerl sind allerdings nun Tageszeiten- und Wetterwechsel und damit neu auch Nachtrennen. Wer meint, einen Kurs in- und auswendig zu kennen, spielt den im Arcade-Modus mal bei Dunkelheit.
Ein Rennspiel lebt aber nicht nur vom Design allein. Und ein Gran Turismo schon gar nicht. Seit Teil 1 war die die Streckenvielfalt das, was das Spiel von allen anderen Titeln unterschied. Aber auch hier fast völlige Stagnation! Statt sich wieder einmal an das Reißbrett zu setzen und sensationelle Kurse im Stile eines Deep Forest oder Grand Valley komplett neu zu erdenken, belässt man es beim Digitalisieren von mehr oder weniger bekannten Kursen. Dieses Thema hatte ich in meinem Beitrag „Das Ende der Rennspiele“ >>> bereits im Juli 2012 ausgiebig kritisiert. Bis auf wenige Ausnahmen findet auch in Teil 6 wieder ausgiebiges Streckenrecycling statt. Schön aber, dass wenigstens der im letzten Teil schmerzlich vermisste Apricot Hill Raceway den Weg zurück ins Spiel gefunden hat!
Der größte Kritikpunkt aber, und dieser macht das Spiel zu einem absoluten No-Go und katapultiert Gran Turismo 6 damit vollständig ins Aus, ist das Thema Fahrzeuge. Ins Spiel sind 1200 Fahrzeuge (fast) aller Hersteller und Jahrgänge integriert. Der größte Anreiz bisher, ein Rennen oder eine Serie mit dem Goldpokal abzuschließen, war der anschließende Gewinn eines neuen Autos. Man konnte dieses zwar nicht immer dafür verwenden, nun doch endlich die letzten Rennen einer Serie anzugehen, um diese abzuschließen, aber man hatte eben ein neues Auto gewonnen. Allein die Vorfreude darauf motivierte ungemein. Was gewinnt man in Gran Turismo 6? Sterne! Und zwar je nach Platzierung bis zu drei davon.
Woran das liegt wird deutlich, wenn man sich im Menü ganz nach links bewegt. Denn dort findet man als letzten Punkt integrierte Microtransaktionen. Statt also den Spieler nach Siegen mit Fahrzeugen zu belohnen, soll er sich diese jetzt zuzüglich zum Preis des Spiels auch noch kaufen? Geht`s noch? Und es spielt dabei keine Rolle, ob ich mit bestimmten Rennen so viele Credits gewinne, dass ich keine Fahrzeuge mit echtem Geld kaufen müsste. Es geht darum, dass hier ein System eingebaut ist, das allein die Möglichkeit bietet und dass ich keine Fahrzeuge mehr gewinne. Und damit ich auch ja die Microtransaktionen nutze, wurden der B-Spec-Modus und der Gebrauchtwagenhändler dann ebenfalls mal gleich aus dem Spiel gestrichen. Keine Chance also, das gewünschte Auto irgendwo gebraucht zu erwerben oder den Computer langwierige Rennen fahren zu lassen, um Credits zu gewinnen.
Der Anreiz, in einer schwierigen Serie doch alle Rennen zu gewinnen, bleibt damit vollkommen auf der Strecke! Und somit tendieren Spielspaß und Motivation gegen Null! Es hat sich bewahrheitet, was ich mit der Veröffentlichung der ersten Pressemeldung zu Gran Turismo 6 >>> befürchtet habe!
Fazit:
Gran Turismo befindet sich im freien Fall. Aus der ehemals besten Rennserie aller Zeiten ist ein profanes und langweiliges Konsumprodukt geworden. Ein digitaler Hamburger, dessen Geschmack man schon kennt, bevor man abgebissen hat. Es ist nichts mehr übrig vom delikaten 7-Gänge-Menü vergangener Tage. Und obendrein soll ich per Microtransaktion auch noch den Salat und das Brötchen extra bezahlen?
Die Playstation 3 ist grafisch ausgereizt, das ist der Lauf der Dinge. Und dennoch ist die Grafik des Spiels noch immer fantastisch. Und auch die Spielbarkeit ist weiterhin erstklassig, aber dann beginnt es auch schon eng zu werden. Keine Gewinne von Autos mehr, ein Tuningsystem ohne große Auswirkungen auf das Fahrverhalten, bekannte Strecken und Sounds, die sich kaum weiterentwickelt haben, obendrein programmiertechnische Fehler wie straffreies Abkürzen von Schikanen und eine KI, die sich der Debilität nähert, lassen Gran Turismo 6 auf direktem Wege von der Rennstrecke in die Schrottpresse fahren. Daran ändern auch der Wechsel von Tageszeiten oder Wetter nichts. Diese sind optischer Natur und nützen wenig, wenn Grundlegendes nicht mehr stimmt.
Wer bisher noch nie ein Gran Turismo gespielt hat, greift gleich zu Teil 5. Dort war die Welt noch halbwegs in Ordnung. Bis auf eine geringere Anzahl an Strecken, einige wenige Abstriche in der Grafik und einem chaotischen Menü bietet dieser Teil noch alles, was ein GT bis dato auszeichnete, auch wenn Lizenzprüfungen hier nicht relevant sind. Bleibt also zu hoffen, dass die Serie außer grafischem Schnickschnack auf der PS4 einen echten Neuanfang nimmt. Meine sehr kurzgehaltene Wunschliste an Polyphony Digital für Teil 7 sieht so aus:
- ich will Autos wieder nach jeder Serie gewinnen und nicht nur kaufen müssen – und schon gar nicht per Microtransaktion
- nehmt euch die Zeit und konzipiert endlich wieder eigene Strecken
- verbessert endlich die KI der Gegner
- ich will ein Schadensmodell mit allen Konsequenzen bis hin zur Fahrt an die Box oder dem Ausscheiden aus dem Rennen
- bestraft Abkürzungen oder unfaire Fahrweise im Rennen ebenso hart wie in den Lizenzprüfungen mit Zeitstrafen, Boxendurchfahrten oder Disqualifiktion
- ich will in einer Rennserie und Lizenzprüfung zum nächsten Rennen klicken können