Im Test: beyerdynamic Free BYRD – endlich auch True-Wireless aus Heilbronn

Zur IFA 2018 erhielt ich nach der beyerdynamic Pressekonferenz ein Paar kabelgebundene In-Ears als kleines Give-away. Dieses Modell aus der umfangreichen BYRD-Reihe nutze ich noch heute abends, wenn ich in aller Ruhe im Bett eines meiner zahlreichen Hörbücher fortsetze. Das Kabel hat hier den entscheidenden Vorteil, dass man sich die In-Ears mit einem Ruck aus den Ohren ziehen kann, wenn man mal wieder während der Geschichte eingeschlafen ist. Nun halte ich mit dem beyerdynamic Free BYRD das kabellose True-Wireless-Debut aus Heilbronn in den Fingern und meine Erwartungshaltung an beyerdynamic ist wie immer hoch.

Es erfordert entweder Mut, Verzweiflung oder aber eine gesunde Portion Selbstbewusstsein, als renommierter Hersteller von bisher großartigen Kopfhörern sich erst zu einem solch späten Zeitpunkt noch am eigentlich mit In-Ears aller Art überlaufenen Markt positionieren zu wollen. Jeder namhafte Hersteller hat mehr oder weniger erfolgreich einen solchen Kopfhörer im Portfolio, allerdings entwickeln hier die wenigsten davon diese Geräte auch selbst. Und das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum beyerdynamic erst im Sommer 2022 das erste Paar dieser Art vorstellt, denn der Free BYRD wird in Heilbronn produziert.

Obendrein bringt man ja nicht nur einen schlichten In-Ear auf den Markt, sondern präsentiert mit dem Free BYRD auch gleich einen „True SOUND Wireless Kopfhörer, der darauf ausgelegt ist, das tägliche Musikhören zum nahtlosen Vergnügen zu machen. Um Musikfans diese Innovation zu ermöglichen, haben wir eine neue Entwicklungsstufe der Sound-Performance erreicht. Der Free BYRD beweist zusammen mit MOSAYC – Attention to Detail with Mimi Sound Personalization, dass Sound weiter verbessert und personalisiert werden kann, um ein noch fesselnderes und genussvolleres Hörerlebnis zu bieten“, so Edgar van Velzen, CEO von beyerdynamic. Klingt also erst einmal großartig, ich bin demnach gespannt, wie sich der Free BYRD nun im Alltag schlägt?

Inzwischen hat man sich daran gewöhnt, dass es statt Plastik nun Karton als Verpackung gibt. Aber selbst schnöde braune Pappe kann Wertigkeit vermitteln und das gelingt beyerdynamic. Nach dem Öffnen der Schachtel staunt man über den Inhalt, denn zumindest bei beyerdynamic hat man meinen Wunsch nach Passstücken aus Memory Schaum erhört. Neben dem üblichen Silikon in allen Größen befinden sich auch gleich drei Paar Stecker aus Memory Schaum in der Box. Selbst bei hochpreisigen In-Ears anderer Hersteller ist dies nicht selbstverständlich und somit ein dicker Pluspunkt für die Free BYRD, bevor überhaupt der erste Ton erklungen ist.

Mit dem Öffnen des leider etwas preiswert und tatsächlich schon fast ein wenig klobig wirkenden Ladecase präsentieren sich nun endlich die beiden In-Ears. Die Schnellstartanleitung ist übersichtlich bebildert und gut erklärend, so dass das Pairing der Kopfhörer eine Sache von Sekunden ist. Zweimal drücken und schon steht die Bluetooth-Verbindung zum entsprechenden Zuspieler. Es wird also Zeit, sich den Free BYRD auch in die Ohren zu stecken, denn schon das simple Anpassen kann über das Wohl und Wehe eines In-Ears entscheiden. Aber man hat bei beyerdynamic gute Arbeit geleistet. Auch wenn die Stecker aufgrund der verbauten Technik nicht so schlank wie die kabelgebundenen BYRD sind, so ist das Design doch gelungen. Die Passstücke sind schnell gewechselt und endlich geht es an das Musikhören.

Ich starte meine Tidal-Rock-Playlist und lausche – und stelle fest, dass die Free BYRD ohne die Klangpersonalisierung und zugeschaltetem ANC einen fast schon studiomäßig nüchternen Sound von sich geben. Eher ruhige Songs wie Times Like These von Five Finger Death Punch oder Mary On A Cross von Ghost stellen Gesang und Melodie in den Vordergrund, solche Songs meistert der Free BYRD ohne jegliche Probleme, aber auch ohne besondere Highlights. Wird es mit The Chapeltown Rag von Slipknot oder Handshake With Hell von Arch Enemy härter, scheinen die In-Ears das gesamte Klangbild herunter zu regeln. Gerade bei Musik der härteren Gangart erwartet man Punch. Diesen allerdings können die Free Byrd in der Grundeinstellung nicht wirklich liefern. Erst mit zugeschaltetem ANC spielen die In-Ears endlich so kraftvoll, wie ich das von beyerdynamic auch gewohnt bin.

Bis hierhin unterscheiden sich die Free BYRD nur unwesentlich von meinen Shure AONIC Free oder Cambridge Audio Melomania Touch. Es wird also Zeit, die MIY-App zu installieren und sich mit der Mimi Klangpersonalisierung auseinanderzusetzen. Ist die App installiert, erscheint diese auf den ersten Blick sehr übersichtlich und aufgeräumt. Doch schon beim ANC und Transparenz-Modus fällt auf, dass die Einstellmöglichkeiten noch arg begrenzt sind. Man hat die Wahl zwischen An und Aus, Zwischenschritte gibt es nicht. Dazu kommt noch ein Low-Latency Modus für Handy-Gamer oder Filmfans und ein Equalizer, der sieben Einstellungen vorgibt – eine eigene Justierung ist nicht möglich. Ein weiterer Reiter leitet uns in den beyerdynamic Shop, ein anderer erklärt die Touch-Funktionen der Free BYRD. Damit wären die Funktionen der App bereits ausgereizt, gäbe es da nicht die Klangpersonalisierung.

Den ersten Kontakt mit der Mimi-Software hatte ich bereits zum Test meines beyerdynamic Aventho Wireless, den ich noch heute heiß und innig liebe und regelmäßig nutze. Nun stellt man diese Technik auch beim neuen und kabellosen In-Ear Kopfhörer zur Verfügung. Hierbei handelt es sich um einen Hörtest, aus dem dann ein Algorithmus das Hörvermögen des Trägers ermittelt und den Klang entsprechend anpasst.

Nach Eingabe des Geburtsjahres erklingen für jedes Ohr getrennt Töne, die auf dem Handy bestätigt werden. Hat man ein eigenes Profil erstellt, lässt sich dieses speichern, sofern man sich bei Mimi ein Konto angelegt hat. Nachteile sind allerdings, dass man nur ein Profil anlegen kann und dass man sich mit jeder neuen Hörsession erneut bei Mimi anmelden muss, um die Personalisierung nutzen zu können. Aber diese beiden Punkte kann man getrost beiseiteschieben. Ohne App und Mimi ist der Free BYRD bloß ein In-Ear wie (fast) jeder andere, der persönliche Klang macht den Unterschied.

Technisch hat beyerdynamic alles in dem vorhandenen Raum verbaut, was scheinbar machbar war. Als Schallwandler dienen zwei 10-Millimeter-Treiber, AptX Adaptive und AAC Codecs sorgen für beste Sound-Qualität, ANC mit Hybrid-Technologie und der Transparency Mode runden das Paket Free BYRD ab. Alles ist steuerbar über die gut funktionierende Touch-Steuerung direkt auf den In-Ears. Das hinzugeschaltete ANC sorgte ja schon für einen verbesserten Sound, das ist aber nicht der eigentliche Zweck dieser Technik.

ANC soll tiefe Frequenzen in lauter Umgebung ausblenden und gleichzeitig Mitten- bzw. Höhen wie eine Hupe dennoch an das Ohr des Trägers lassen. Das funktioniert auf der Straße einwandfrei, allerdings sind die Mikrofone bei starkem Wind doch etwas rauschanfällig. Wie bereits erwähnt arbeitet das ANC leider auch nur in zwei Stufen, es kann weder individuell angepasst werden, noch geschieht diese Anpassung automatisch. Wer häufig draußen unterwegs ist, wird den Spritzwasserschutz nach IPX4-Zertifizierung zu schätzen wissen.

Auch wenn ich persönlich das als unhöflich empfinde, so kann der Free BYRD bei zugeschaltetem Transparency Mode bei einem Gespräch mit meinem Gegenüber im Ohr verbleiben. Bei aller Technik und bestmöglichem Klang spielt aber immer die Akkulaufzeit eine gewichtige Rolle. Aber auch hier hat beyerdynamic nicht gespart. Nach dem Aufladen spielen die Free BYRD getestete gut 10,5 Stunden. Mit zwei zusätzlichen Ladungen aus dem Case erhöht sich die Leistung auf fast 29 Stunden und wenn es einmal schnell gehen muss, laden die Kopfhörer in 10 Minuten eine Spielzeit von über einer Stunde auf.

Besonderen Wert legt man in Heilbronn auf die Telefonqualität, die mit dem neuen Qualcomm dual 2-mic cVc tatsächlich die Latte für andere Hersteller recht hoch legt. Klassische Telefonate waren für beide Partner durchweg einwandfrei verständlich, auch in lauten Umgebungen. Selbst bei der Videotelefonie über WhatsApp mit mehreren Partnern kam es zu keinerlei Verständnisproblemen.

Fazit:

Das Debut des ersten kabellosen Kopfhörers Free BYRD aus dem Hause beyerdynamic ist durchweg gut gelungen. Auch wenn die Grundeinstellung beim Klang ohne zugeschaltetes ANC oder die Mimi-Klangpersonalisierung eher nüchtern aufspielt, so merkt man den In-Ears ihre (Studio-)Wurzeln an. Hervorzuheben ist die Personalisierung des Sounds, die ein jedes Paar Free BYRD damit zu einem wirklich individuellen Kopfhörer macht. Voraussetzung ist hier aber die Installation der MIY-App und ein Mimi-Konto.

So stark die App bei der Personalisierung aufspielt, so offenbart sie in den anderen Bereichen wenige Höhepunkte. ANC und Transparenz-Modus An oder Aus ohne weitere Justierung und ein durchweg vorgegebener Equalizer sind durchaus ausbaufähig. Aber eine umfangreiche App sollte stets nur eine bestmögliche Zugabe sein, entscheidend ist bei einem In-Ear immer Klang und Tragekomfort. Und da spielt der Free BYRD ganz vorne mit.


Link zum Hersteller: beyerdynamic Free BYRD