Auch wenn wir dieses Jahr kaum einen wirklichen Winter hatten, ist der Wechsel zu wärmeren und längeren Tagen für mich und viele andere jedes Mal aufs Neue eine Motivation, wieder mehr vor die Tür zu gehen. Das mag vielleicht nur ein Umweg zum Einkaufen sein, um etwas Sonne zu tanken, darf aber auch gerne mal ein längerer Spaziergang oder sogar eine Jogging-Tour sein, meine Kopfhörer habe ich aber immer mit dabei. Erst recht auf längeren Wegen läuft fast dauerhaft Musik, wobei aber Umgebungsgeräusche – gerade in der Berliner U-Bahn – gerne mal zum Problem werden. Der US-Amerikanische Audiotechnik Hersteller Shure hat sich genau diesem Problem gestellt und mit den Aonic Free ein Paar In-Ear Kopfhörer entwickelt, die jederzeit und überall ein ungestörtes Hörerlebnis in Studioqualität ermöglichen sollen.
Das hat natürlich erst einmal hohe Erwartungen bei mir geweckt, erst recht als mir bei meiner Recherche klar wurde, warum mir der Name Shure so vertraut wirkte. In meiner Jugendzeit war ich in verschiedenen Gruppen und Bandprojekten aktiv. Dabei war auf eines immer Verlass: Egal ob im Jugendclub, im Bandkeller eines Freundes oder bei hunderten von Kilometern entfernten Musik-Freizeiten, jeder hatte das Shure SM58. Es ist der Klassiker unter den Live-Gesangsmikrofonen und war nicht nur für uns jugendliche Freizeit-Musiker gut genug, man findet es seit Jahrzehnten auf Bühnen weltweit, zum Beispiel auch in System of a Down‘s Musikvideo zu Chop Suey. Auf den zweiten Blick trifft man bei vielen Content Creators auf Twitch oder YouTube auf Sprach- und Podcast-Mikrofone der Marke Shure. Meine sowieso schon hohen Erwartungen wurden dadurch noch um einiges gesteigert. Ein Hersteller, der sich so einer großen Beliebtheit erfreut und auf jahrzehntelange Erfahrung mit Musikern zurückblicken kann, muss doch auch hervorragende Kopfhörer vorweisen können.
Für kabellose In-Ear Kopfhörer sind die Aonic Free mit 37mm Länge und 22mm Breite ziemlich groß und stehen fast einen Zentimeter über die Ohrmuschel heraus. Trotzdem sitzen sie dank der Schaumstoff-Ohrpassstücke fest auch bei heftigeren Bewegungen und werden bei längerem Tragen nicht schwer. Das Transportcase braucht dementsprechend ebenfalls größere Maße, damit die Kopfhörer darin Platz finden. Es passt zwar mit fast 9 mal 5cm gerade so in die Hosentasche, macht sich aber sehr stark bemerkbar und wird bei mir meist in den Rucksack verbannt.
Trotz ihrer Größe sind die Aonic Free durch ihr sehr simples Design wenig auffällig und können nicht nur zum Musik hören genutzt werden, sie finden auch ihren Platz im Büro zum Telefonieren oder bei Videokonferenzen. Man kann die In-Ears auch fast den ganzen Tag nutzen, da der Akku in den Kopfhörern selbst bei erhöhter Lautstärke über sieben Stunden durchhält und im Transportcase noch zweimal voll aufgeladen werden kann. Für die Bedienung der Aonic Free befindet sich an der Oberseite eines jeden Steckers ein Knopf, jede Einstellung zum Musikhören und Telefonieren lässt sich darüber steuern. Die verschiedenen Knopfdrucksequenzen lassen sich dabei individuell in der ShurePlus Play App anpassen, brauchen aber ein wenig Übung, um den Überblick zu behalten und die Intervalle richtig zu erwischen, da sie ziemlich umfangreich sind.
In der umfangreichen Play App findet man wirklich alles, was man für die Bedienung benötigt. Sämtliche Einstellungen für das verwendete Aonic-Gerät, sowie Kurzanleitungen mit Videos und der Equalizer sind dabei sehr übersichtlich sortiert. Auch zur Musikwiedergabe lässt sich die App nutzen, wobei sie aber nur auf die lokalen Dateien des Handys zugreift. In Zeiten von Spotify und anderen Musikstreaming Diensten ist das ein nettes Feature, aber auch nicht allzu ausschlaggebend.
Die App machte bei mir allerdings immer wieder Probleme. Gerade bei dem für mich so wichtigen Equalizer war es anfangs fast schon ein Glücksspiel, ob ich auf alle Frequenzbereiche zugreifen kann und diese anpassen kann, oder ob ich nur an den Bässen etwas herumschrauben darf. Da der Equalizer auch keine Regler für einzelne Frequenzen anbietet sondern einen Punkt, der die EQ-Kurve um sich legt, verstellt man unweigerlich immer einen vollständigen Bereich. Ich habe einige Zeit gebraucht, um mich daran zu gewöhnen. Der oft fehlende Zugriff auf Mitten und Höhen hat es mir damit manchmal schwer gemacht, meinen persönlichen „Sweetspot“ zu finden, an dem ich meinen doch sehr breit gefächerten Musikgeschmack optimal auskosten kann. Hat man dann aber seine perfekte Einstellung gefunden, kann man diese Veränderungen neben den bereits gegebenen Voreinstellungen speichern und immer wieder darauf zurückgreifen.
Die App braucht man aber nicht, um Musik mit den Aonic Free genießen zu können. Es braucht nur eine Bluetoothverbindung, die In-Ears schalten sich ein, sobald man sie aus dem Transportcase nimmt und sie verbinden sich automatisch. Nutzt man nur einen der beiden EarBuds, muss man sowieso auf die Möglichkeit verzichten, Einstellungen in der App zu verändern, bereits getätigte bleiben aber bestehen. Und auch ohne persönlich angepasste Einstellungen ist die Studioqualität kein leeres Versprechen. Die Kopfhörer haben ein lineares, aber warmes Klangbild und geben genau das wieder, was bei der Aufnahme im Studio abgemischt wurde.
Überrascht haben mich die Bässe. Für In-Ears gehen die Kopfhörer erstaunlich tief und ohne Dröhnen legen sie sich sehr angenehm unter die anderen Klänge. Einzelne Instrumente lassen sich differenzieren und kommen sich kaum in die Quere. Es fehlt aber ein klein wenig Klarheit im Gesamtbild, um der beworbenen Studioqualität wirklich zu einhundert Prozent gerecht zu werden. Dennoch ist das Klangbild unfassbar gut – wir sprechen hier immer noch von In-Ears für den Gebrauch unterwegs und nicht von Studio-Kofhörern. Nur bei Musik, die – wie Metalcore zum Beispiel – sehr viele Töne gleichzeitig übereinander legt, stoßen die kleinen Kopfhörer etwas an ihre Grenzen. Hier vermischen sich des Öfteren die sehr nah beieinander liegenden Frequenzen und der sonst so klare Klang wirkt etwas unsauber. Wer lieber etwas gemäßigter in der Musikwelt unterwegs ist, wird nur äußerst selten dieses Problem haben. Von Lady Gaga über Eminem bis AC/DC steht hinter jedem großen Musiker ein Soundingenieur, der der Musik den letzten Schliff gibt. Was er oder sie im Studio gehört und abgemischt hat, geben die Aonic Free ungeschönt an uns weiter.
Wir haben aber zusätzlich noch die Möglichkeit den Klang an unsere Präferenzen anzupassen. Wer ein wenig mehr Dynamik im Klang möchte, kann das schon durch geringe Anpassungen erreichen. Spielraum hat man genug. Hebt man die Frequenzen unter 80 Hertz etwas an, bekommt man Bässe geliefert, die es wirklich in sich haben, aber trotzdem klar und differenziert bleiben und nicht dominieren. Gibt man hier noch ein wenig verstärkte Höhen dazu, bekommt man noch etwas mehr Klarheit ins Klangbild. Es bleibt aber Vorsicht geboten, da der Grat zwischen klaren, angenehmen und scharfen, stechenden Höhen ein sehr schmaler ist.
Für den perfekten Musikgenuss bleibt nur noch der Störfaktor Umgebungsgeräusche. Die Schaumstoff-Ohrpassstücke in drei Größen schmiegen sich fest in den äußeren Gehörgang und schirmen Geräusche gut ab. Ein großer Unterschied zu anderen In-Ears mit Schaumstoff- oder Gummi-Passstücken fiel mir aber nicht auf. Vorbeifahrende Autos oder Gespräche von Außenstehenden sind akustisch kaum wahrnehmbar. Durchsagen am Bahnsteig oder in der Bahn dringen allerdings gerne mal durch, hört man Musik auf geringer Lautstärke oder einen Podcast.
Man muss die In-Ears aber auch nicht zu laut stellen, um wirklich gut abgeschirmt zu sein. Generell haben die Aonic Free eine relativ hohe Grundlautstärke. Wo andere In-Ears schnell an ihre Grenzen kommen, haben diese noch ein paar zusätzliche Pegel zur Verfügung. Für Musik ist es natürlich nicht zu empfehlen, aber jeder kennt es, wenn der Gesprächspartner beim Telefonat sehr leise redet und auch auf höchster Lautstärke kaum zu verstehen ist. Hier hilft das kleine bisschen Extra an Lautstärke ungemein.
Manchmal kommt man jedoch auch in Situationen, in denen man mehr auf die Umgebung achten muss und die Isolation von Nachteil ist. Hierfür haben die Aonic Free den Umgebungsmodus, der Geräusche von außen aufnimmt und über die Kopfhörer wiedergibt. Diese Durchlässigkeit lässt sich ganz leicht über die App einstellen, wobei es bei höheren Pegeln ein hörbares Rauschen gibt. Leichte Berührungen an den Ear Buds an sich zum Beispiel von der Kapuze spiegeln sich dann als deutliches Kratzen wieder, so wie man es von Telefonaten kennt, wenn das Gegenüber mit dem Finger über das Mikrofon wischt.
Der Umgebungsmodus, lässt sich durch einfaches Tastendrücken an den Kopfhörern an- oder ausschalten. Mit dem „Pause Plus“ Modus, lässt sich die Umgebung automatisch beim Pausieren der Musik hinzuschalten. Dies ist besonders hilfreich, wenn man wirklich auf bestimmte Geräusche achten muss, oder wenn man angesprochen wird. Allerdings ist diese Funktion nur durch Pausieren der Musik mit dem Knopf an den Kopfhörern nutzbar und nicht wenn man zum Beispiel in Spotify den Pause-Button drückt. Auch hier muss man darauf achten, dass sich Gespräche mit dem Umgebungsmodus nicht so einfach gestalten. Vorbeifahrende Fahrzeuge, Durchsagen in der Bahn oder Fahrradklingeln bekommt man sehr gut mit und kann sie räumlich einigermaßen gut orten, unterhält man aber in der Bahn mit vielen Geräuschen, die der Umgebungsmodus weitergeben muss, bekommt man leicht Schwierigkeiten sein Gegenüber gut zu verstehen. Die Ear-Buds für ein persönliches Gespräch aber aus den Ohren zu nehmen, ist dabei nicht nur hilfreich, sondern auch höflich.
Fazit:
Die Aonic Free haben meine hohen Erwartungen erfüllt, auch wenn die App mich aufgrund der etwas anderen Bedienung des Equalizers anfangs vor eine Aufgabe gestellt hat. Die In-Ears sind etwas größer als viele andere Ear-Buds, bieten dafür aber um einiges kräftigere und schönere Bässe. Zudem kann der Klang mit dem vieler Over-Ear Studiokopfhörer fast mithalten, auch wenn es vielleicht manchmal ein klein wenig an Definition fehlt. Aber das fällt nicht auf, wenn man draußen unterwegs ist. Und eben dafür sind die Kopfhörer gemacht.
Auch die technische Ausstattung kann sich sehen lassen. Die Umgebung hinzuschalten zu können, ist in vielen Situationen extrem hilfreich, auch wenn die Isolation nicht merkbar besser ist als bei vergleichbaren In-Ears. Man merkt jedoch bei jedem Hören, dass Shure seit Jahrzehnten mit Musikern jeder Größenordnung zusammenarbeitet und diese Erfahrung bei der Entwicklung der Aonic Free einen großen Einfluss hatte.
Link zum Hersteller: Shure Aonic Free