Sehr geehrter Herr Schmidt,
sie sind unbestritten einer derjenigen Journalisten, dessen Berichte ich schätze und in der GameStar mit Vorliebe konsumiert habe. Auch Ihre Essays Richtig anfangen / Richtig aufhören sind immer wieder ein literarischer Genuss. Unvergessen Ihre Kolumne über die Bild-Zeitung – Aufklärung über Spiele Monster.
Was Sie sich allerdings mit „Mehr Geist bitte, liebe Games-Tester“ auf Spiegel Online und Kaliban.de gedacht haben, erschließt sich mir nicht in letzter Konsequenz? Was soll dieser Beitrag bewirken? Wachrütteln? Mit Sicherheit! Provozieren? Ein wenig schon! Nachtreten? Schwer vorstellbar und (hoffentlich) über Ihrem Niveau.
So bemängeln Sie die abnehmende Qualität von Spiele-Tests, die sich zunehmend im Aufzählen von Details ergießen, statt dem Leser eine Geschichte zu erzählen und ihn neugierig zu machen. Sie vergleichen aktuelle Tests mit Berichten der Stiftung Warentest. Gleichzeitig kritisieren Sie das Aussterben der Printmagazine und vor allem die mangelnde Ausbildung der Spieletester und Redakteure.
Gut gemeint, aber Ihr Aufruf kommt zu spät. Als ehemaliger GameStar Redakteur kann es durchaus sein, vielleicht im alltäglichen Stress die Übersicht über die zahlreichen Games-Websites im Internet verloren (oder diese als Konkurrenz ignoriert?) zu haben. Der von Ihnen geforderte New Game Journalism hat nämlich längst Einzug gehalten. Viele gute Online-Magazine haben sich diese Gedanken längst zu Eigen gemacht und schreiben frische Tests fernab von, ich zitiere, „detaillierten Prüfprotokollen“. Sie erzählen Geschichten rund um das Spiel und nicht aus dem Spiel! (Wobei ich allerdings anmerken möchte, dass zu wenige Games das Potential haben, literarisch, philosophisch oder ethisch eingehender betrachtet zu werden)
Aber das scheint Ihnen entgangen zu sein. Stattdessen sprechen Sie diesen Redaktionen eine mangelnde Qualifikation ab. Zitat:
„Die wenigsten deutschen Gaming-Fachjournalisten haben eine adäquate Ausbildung oder auch nur ein abgeschlossenes Studium. Ihnen fehlt das journalistische Rüstzeug, geschweige denn die Erfahrung. Zu oft mangelt es an Interesse an übergeordneten Zusammenhängen…“
Ich gebe Ihnen Recht und gehe davon aus, dass Sie diese Ausbildung genossen haben. Gleichzeitig stellen Sie sich mit dieser Aussage aber über alle, die diese Ausbildung nicht haben und trotzdem über Videospiele berichten. Ist die obige Aussage nun (unbewusste) Überheblichkeit oder Frustration darüber, dass auch Quereinsteiger Chancen haben, sich fernab der festgetretenen journalistischen Pfade der Verlage in der Gaming-Szene zu etablieren? Die Videospielpublisher jedenfalls haben die Zeichen der Zeit frühzeitig erkannt. Sie nutzen genau diese Gaming-Kultur im Internet und unterstützen nicht nur Verlage, sondern auch diejenigen Websites, die sich durch eine gute Berichterstattung hervorgetan haben.
Sollte Ihr Bericht nun wachrütteln oder provozieren, ist Ihnen dies bei denjenigen mit Bravour gelungen, die ohnehin zu allem immer eine Twitter oder Facebook Meinung haben müssen. Wollten Sie allerdings nur über die Qualität von Spieletests diskutieren, kommen Sie schlicht zu spät. Für den Fall, dass Sie vielleicht einfach vergessen haben, worum es letztendlich geht:
Es handelt sich um eine harmlose Freizeitbeschäftigung, die von Ihnen inzwischen offensichtlich viel zu ernst genommen und überschätzt wird. Nehmen Sie doch ein Spiel einfach mal wieder als das hin, was es sein möchte und wofür es ursprünglich konzipiert wurde:
Einfach nur ein Videospiel!
In diesem Sinne viele Grüße
Michael Schulz