Wuselige Aufbau-Romantik im Siedlerstil – lasst sie handeln in Let Them Trade

Es war ein entspannter Nachmittag – so entspannt, dass man aufgrund des Starkregens nur am PC sitzen konnte – als Steam mir ein Spiel auf meine Startseite spülte. Auf den ersten Blick sah es aus wie Die Siedler von Catan, eines meiner Lieblingsbrettspiele. Beim näheren Hereinlesen stellte sich jedoch heraus, dass dieses Spiel zwar im Grunde Catan sein möchte, aber sich nur auf Singleplayer begrenzt, dafür aber Warenketten wie in Anno ausbaut anbietet. Da die Anno-Reihe eine meiner Lieblingsvideospiele sind, war meine deutsche Aufbauseele sofort am Haken. Ein deutsches Entwicklerstudio, welches die beiden vermutlich besten deutschen Aufbauspiele miteinander verbindet? Das musste getestet werden. Also habe ich das Ding direkt eingetütet, bezahlt und nach Hause getragen… dank Steam natürlich in nur zehn Sekunden. Oh, in aller Aufregung habe ich ganz vergessen euch den Titel zu nennen: Es handelt sich um das vor kurzem erschienene Let Them Trade.

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Zu Start hat man zwei Möglichkeiten, die Kampagne welche wie ein ausführliches Tutorial funktioniert und ein Freies Spiel. Da ich Ersteres bereits gespielt habe, teste ich hier Letzteres. Das Ziel ist aus einer unbebauten Welt ein zusammenhängendes Netz an Dörfern und Städten zu basteln. Die Siedlungen handeln unter sich, wir erhalten lediglich eine Gewerbesteuer von 25%. Also gebe ich zwei Stadtzentren in Auftrag. Das Erste, Schwanewitz, soll sich auf Holzhandel spezialisieren. Zwei Holzfällerhütten, ein Sägewerk und drei Bauernhäuser. Das unverarbeitete Holz brauchen wir für leichte Bauprojekte, aber ist auch ein Verbrauchsgut der Bauern. Das Sägewerk stellt Holzbretter als Baumaterial her.

Die zweite Ortschaft, Ruhweiler, wird sich auf Kartoffeln spezialisieren. Zwei Kartoffelhöfe, zwei Bauernhäuser. Ein kleineres Dorf, aber nicht minder wichtig. Kartoffeln sind unser erstes Nahrungsmittel. Während sich Schwanewitz und Ruhweiler im Aufbau befinden, entsende ich unseren tapferen Ritter Randulf, die unbekannten Gebiete aufzuklären. Dafür stellen wir aus vier Kartoffeln ein Erkundungspaket her – ein Paket entspricht einem Hexfeld. Auch ein Forschungszentrum bauen wir, um neue Gebäude wie Fischereien und Schäferhöfe freizuschalten. Diese produzieren Fisch und Wolle, die für Bauern Luxusgüter darstellen.

Während mein BIick über die Landschaft streift und ich meinen Untergebenen beim Arbeiten zuschaue, sticht mir eine schaurige Gestalt ins Auge. Sein Name: Hakenhand. Er und seine Räuberkomplizen möchten sich an meinem Handel bereichern, ich weiß es genau. Also schicke ich Ritter Randulf in die Nähe, um die Lieferanten zu beschützen – aber zu spät! Hakenhand labt sich bereits an den ergaunerten Kartoffeln, die eigentlich für den Bergfried bestimmt waren. Kurz darauf zieht er sich in sein Lager zurück. Dort ist er momentan noch zu stark. Neues Ziel: Eine leichte Kaserne. Niemand darf sich an unserem Eigentum bereichern.

Während dies geschieht, schaue ich nach zwei neuen Standpunkten für neue Dörfer. Schließlich brauchen wir Fisch und Wolle. Theoretisch mögliche Orte gibt es zwar, aber so richtig gefallen tut mir keiner. Da Ritter Randulf nicht ewig an den Grenzen unseres Königreichs nach neuem Land suchen kann, Räuber Hakenhand wartet nur auf seine Gelegenheit, da bin ich mir sicher, beiße ich in den sauren Apfel und nehme die nicht zufriedenstellenden Orte; ich fühle mich direkt nach Catan versetzt. Buchenrath, ein Fischerdorf, wird künftig jenseits der Schwanewitzer Berge liegen. Das Schäfer-Dorf Gruningen soll auf der Insel hinter Ruhweiler für ausreichend Wolle sorgen.

Ich mache mir Gedanken über das nächste Ziel. Arbeiter freischalten, damit wir höherwertige Ressourcen abbauen und höherwertige Güter produzieren können. Diese müssen wir erforschen. In der Zwischenzeit habe ich Upgrades für bereits vorhandene Gebäude erforscht, damit diese produktiver werden. Nun geht es daran, neue Städte zu gründen. Zwar könnten wir auch unsere alten Dörfer benutzen, da wir aber nur bei Handel verdienen, lohnt es sich für uns natürlich aber mehr, alles möglichst gut zu verteilen.

Nach einiger Zeit – Prozesse dauern in diesem Spiel recht lange, da es eine gemütliche Aufbau-Ablenkung vom Alltag sein soll – haben wir Arbeiter erforscht. Nächster Schritt sind die Steinwerkzeugmacher. Diese machen aus Stein und Holz Steinwerkzeuge, klingt logisch. Diese brauchen wir vor allem, um unsere Produktionen effizienter zu gestalten. Da wir in Ruhweiler mittlerweile einen Steinbruch gebaut haben, bietet es sich hier an, eine Arbeiterhütte und ein Steinwerkzeugmacher zu bauen. Für maximalen Profit könnten wir auch Buchenrath oder Gruningen nehmen, da so der meiste Handel betrieben werden würde. Allerdings wollen wir unser Handelsnetzwerk auch nicht überlasten, da es eine Maximalanzahl an Lieferanten und Transporteuren gibt. Dabei sind Lieferanten für alles außerhalb einer Ortschaft zuständig und Transporteure für alles innerhalb ebendieser. Außerdem sticht mir ein weiteres Problem ins Auge: Wir sind chronisch unterholzt. Und auch eine Aufwertung der vorhandenen Produktionskapazitäten scheint das Problem nicht wirklich zu lösen. Mit auf der Liste steht also, einen neuen Holz-Standort zu entwerfen.

Im Handumdrehen entsteht in den Bergen westlich des Bergfrieds die Holzfäller-Siedlung Witterfels. Auch Kohle kann dort mittelfristig abgebaut werden. Mittlerweile wurden auch Ruhweiler und Schwanewitz auf Kleinstädte erweitert. Das erhöht ihre maximale Gebäudeanzahl, sowie die Lieferanten- und Transporteurkapazitäten. Außerdem steht ein neuer Ritter in unserem Dienst, der treue Ewald. Da wir zeitnah auch Brote herstellen wollen, ein Luxusbedürfnis der Arbeiter, brauchen wir einen Standort für Weizen, Mehl und eben Brote.

Da Gruningen nur noch wenig Grünflächen zur Verfügung hat und Ruhweiler in die Stein-Branche eingestiegen ist, brauchen wir auch hier ein neues Dorf. Glücklicherweise liegt südlich von Witterfels eine furchtbare Landschaft – Verzeihung, fruchtbar natürlich! Zu allem Ärger haust Räuber Hotz N. Plotz dort schon mit seiner Bande. Für Ritter Ewald und sein leichtes Gefolge stellt das aber kein Problem dar. Und schon siedeln wir und errichten gleich eine Bauernhütte und einen Weizenhof. Da Schäferhöfe, Kartoffelhöfe und Weizenhöfe Synergie-Effekte haben, könnte es auch lohnenswert sein, eine reine Bauernstadt zu errichten und die Fertigung auszulagern; entschieden habe ich mich hier aber noch nicht.

Arbeiter benötigen als Luxusbedürfnis aber nicht nur Brot, sondern auch Kleidung. Da diese nur aus Wolle in einer Schneiderei hergestellt wird, darf sich unsere Inselstadt Gruningen über Zuzug freuen. Um die Bäckerei erforschen zu können, erfordert es Kohle. Hier bietet sich Witterfels an. Zwei neue Gebäude in Auftrag gegeben und Zack – auch Witterfels beherbergt nun Arbeiter und eine Kohlemine. Mittlerweile haben wir auch die Mühle erforscht. Nun steht unser Königreich vor einer entscheidenden Frage. Mit nur noch einer verbleibenden offenen Stadt, können wir uns bei den aktuellen Standorten auch nur an einer neuen Ressource bedienen. Gold, Eisen, Ton oder doch neue Städte für den geplanten Mühl- und Bäckereistandort? Oder eine neue Fischerstadt, denn auch diese Ressource ist knapp.

Doch dann ist Ritter Randulf der Retter in der Not. Südlich von Gruningen entdeckt er einen Standort, an dem es Eisen, Ton und Fisch zugleich gibt. Zeitgleich erscheint mir außerdem eine famose Idee vor meinen Augen: Buchenrath muss weichen. So spar ich einen Stadtslot und kann die geplante Bäckereistadt platzieren. Im Eiltempo entsteht Gruningens Schwesterstadt Grabenscheid. Zeitnah beginnen die Abrissarbeiten in Buchenrath. Westlich von Nebelhain entsteht dann die Bäckereistadt Schattenfeld. Aus moralischen Gründen tun wir so, als ob die Buchenrather einfach in die andere Stadt umgezogen sind – und nicht ihren ganzen Besitz verloren haben und ihr künftiges Leben in Obdachlosigkeit fristen müssen.

Das alles erreicht man in den ersten zwei Stunden von Let Them Trade. Wir sind circa bei der Hälfte einer Partie angekommen. Nach der Arbeiter-Klasse kommen noch die Bürger und Adligen. Unterm Strich kann man sagen, das Spiel hält, was es verspricht. In Catan-Grafik baut man mit Anno-Mechanics seine Städte und Dörfer aus. Dabei behält das Spiel einen durch und durch brettspielartigen Look. Von den Städten und Gebäuden bis hin zum Gelände und sogar den Fischen im Wasser – alles könnte aus einem Brettspiel stammen. Dabei verliert es aber nicht an Komplexität. Durch mehrstufige Warenketten und Preisbestimmung nach Angebot und Nachfrage kriegt man hier eine echte Wirtschaftssimulation auf einfachem Level. Wenn mein VWL-Professor von diesem Spiel wüsste, würde er es vermutlich rauf und runter spielen.

Dabei ist aber wichtig zu betonen, dass das Spiel bewusst nicht zu tief geht. Etwaige Statistiken werden einem nicht erklärt und man muss sie selbst erkunden – falls man denn überhaupt welche findet. Ich vermute, man wollte der ruhigen und entspannten Seele des Spiels nicht zu viel Mathematik aufbürden. Man merkt, dass Vorgänge bewusst langsam gestaltet worden sind, um den Spieler nicht zu überfordern. So geht’s es mir ehrlicherweise in Anno 1800 mittlerweile. In Let Them Trade baut man vor fröhlicher Musik (welche auch an die älteren Anno-Teile erinnert) seine Catan-Insel langsam immer voller, es wird immer wuseliger, aber eben nicht überfordernder. Die einzigen Gegner sind die Räuber, die zwar Ressourcen klauen, aber keine Gebäude zerstören können. Man kann dieses Spiel nicht verlieren, da es keine Herausforderung, sondern eine Entspannung darstellen soll. Ein für mich kleines Detail soll hier noch einen großen Bonuspunkt erhalten: Das Ambiente.

Bei maximalem Zoomlevel findet man sich in einem Raum wieder. Das Spiel auf einem Tisch mit vier Stühlen, auf einem der Stühle die vermeintliche analoge Verpackung von Let Them Trade. Vor uns ein Fenster, auf der Fensterbank Blumen, Kerzen und eine sich bewegende Katze, die man sogar streicheln kann. Durch das Fenster ein Blick aufs weite, ruhige Feld. Mit einer exzellenten Steuerung kann man die Kamera in einer Halbkugel über dem Spielfeld drehen und so den ganzen Raum erblicken. Das ist ein Detail, welches ich bei AAA-Games vermisse. Ein Detail, was rein gar nichts zum Spiel beiträgt; ein Detail, welches man nicht einmal mitbekommt, sollte man nicht rauszoomen und sich wundern, wo sich eigentlich die Kartengrenze befindet. Ein Detail, welches eingebaut wurde, um auch hier zu zeigen: „Hey, du bist in einem Raum, der nach Entspannung und Ruhe schreit, nimm dir einfach eine Auszeit aus dem stressigen und vollbepackten Alltag. Setz dich an den Tisch und lehn dich zurück“. Und während ich aus dem virtuellen Fenster in die Landschaft starre, läuft das Spiel vor mir weiter… wie ein lebendiges Brettspiel.


Gastbeitrag von Eric Michaelis