Ich spiele seit den 1970er Jahren Videospiele, ich habe jede Entwicklung im Gaming- und Konsolenbereich erlebt, ich habe Konsolen kommen und gehen sehen, darunter Mega-Flops wie das Philips CD-i oder das 3DO, aber größtenteils eben doch so viele erfolgreiche Konsolen und Spiele, die mich wochen- und monatelang gefesselt haben. Kurz: Ich habe mich auf jede neue Konsolengeneration gefreut und hatte jede Konsole am Release-Tag hier zu stehen. Aber was Microsoft gestern mit der großen Ankündigung von 9 seiner 15 Game Studios abgeliefert hat, ist kaum in Worte zu fassen.
Da wird im Vorfeld groß ein Halo Infinite angekündigt und dann ein verwaschener Trailer abgespielt, der sich in nichts von den bisherigen Titeln unterscheidet. Da soll ein Forza Motorsport gezeigt werden und dann erfährt man, dass sich das Spiel noch in einer frühen Entwicklungsphase befindet und man zeigt einzig die The Corkscrew aus Laguna Seca. Da wird ein Ori and the Will of the Wisps präsentiert, dass nun in 120 fps laufen soll – übrigens als einziges aller gezeigten Spiele – und man erkennt dennoch keine echten Unterschiede zur jetzigen Version. Und als Sahnehäubchen auf eine einstündige Show kleckst man dem Spieler ein Tetris Effect: Connected mit Multiplayer-Modus vor die Füße? Wenn ich Tetris im Multiplayer spielen will, dann greife ich zu meiner Ur-Version auf dem Gameboy mit Link-Kabel oder spiele Tetris 99 auf der Switch.
Ihr merkt also, dass sich nicht nur meine Begeisterung – zum Glück stehe ich hier nicht allein – in sehr engen Grenzen hält. Nachdem schon die Vorstellung der Xbox Series X Spiele von Drittanbietern im Mai diesen Jahres mehr als nur enttäuschend war, reihen sich die gestern vorgestellten Spiele der Microsoft-eigenen Game-Studios hier in Langeweile und Austauschbarkeit fast nahtlos ein. Es waren die wenigsten Titel, die aus dem Brei mangelnder Innovationen und erschreckend schlechter Grafik hervorstachen.
Ich will auf Titel wie Everwild, CrossfireX oder Stalker 2 gar nicht weiter eingehen, denn das sind Titel, die mit Sicherheit in Sachen Idee oder Grafik erfolgreich werden und die auch mich zumindest rudimentär interessieren. Aber es sind eben nur diese wenigen Spiele, von denen nach jetzigem Stand keines ein Pflichtkauf oder sogar der Anreiz zum Kauf der Xbox Series X sein wird. Denn alle gestern gezeigten Spiele werden auch im Xbox Game Pass und viele mit Smart Delivery auch für die Xbox One verfügbar sein. Warum also soll ich einen nicht geringen Betrag für die neue Xbox Series X ausgeben? Zumindest sorgte der kurze Trailer von Fable für den einzigen Lacher des Abends: Wann wurde jemals zuvor eine Fee von einer Kröte verspeist?
Es gibt für diese Geschäftspolitik nur eine logische Erklärung und hier spekuliere ich einmal:
Die Xbox Series X wird Microsofts letzte echte Spielkonsole!
Die Zukunft des Gaming liegt für Microsoft schon jetzt in deren hauseigenen Streaming-Dienst Project xCloud. Dieser Dienst ist aufgebaut wie Google Stadia, Spiele werden online auf jeden TV oder PC gestreamt und dafür ist einfach keine Konsole mehr nötig. Man wird mit diesem Dienst neue Spieler ans Pad locken, die bis heute keine Affinität zu Games hatten und die jetzt noch nicht wissen, dass sie zukünftige Microsoft Kunden sein werden. Daher sind alle gestern vorgestellten Spiele auch über den Game Pass verfügbar. Man will den Spieler vom Medium Blu-ray und dem daraus resultierenden Handel mit gebrauchten Spielen weglocken, um diesen schon heute mit einem preiswerten Abo an das Unternehmen zu binden.
The Next Big Thing wird definitiv Project xCloud. Von daher ist es Microsoft mit deren fast unbegrenzt vorhandenen Ressourcen vollkommen egal, ob die Xbox Series X ein wirtschaftlicher Erfolg wird oder nicht und ob die Playstation 5 damit in der letzten Konsolengeneration das Rennen macht. Die Zukunft des Gaming liegt in der Cloud, dafür braucht niemand mehr stationäre Konsolentechnik, sondern nur einen vernünftigen Controller.