Ich liebe Rennspiele, das habe ich hier bestimmt schon etliche Male erwähnt. Egal ob realistisch, futuristisch oder „fun“tastisch, was ein Lenkrad hat, wird von mir über den Monitor bewegt … bis jetzt. Juni 2012: Ich sitze vor meiner XBOX 360 und quäle mir Codemasters aktuellen Titel DiRT Showdown regelrecht rein.
Schon wieder 60,-€ für ein Spiel ausgegeben, das nichts Neues bringt, nichts Neues wagt und ganz viel Altes mit zu viel knalliger Grafik neu verpackt und damit versucht, die eklatanten Schwächen des Titels zu kaschieren. Also irgendwie Müll mit einem bunten Schleifchen obendrauf. Nach reichlichen Rennen, Karambolagen und noch mehr Tinitus wegen selten dummer Ansagen des virtuellen Kommentators wird mir langsam aber sicher etwas bewusst:
Das Genre der Rennspiele auf Videospielkonsolen hat seinen Höhepunkt längst überschritten!
Vielleicht ist es unfair, meine Behauptung ausgerechnet an DiRT Showdown festzumachen, denn bereits Forza Motorsport 4 war 2011 nicht einmal ein lauer Aufguss seines fantastischen dritten Teils. Aber gerade DiRT verdeutlicht eindrucksvoll, dass das Ende der Fahnenstange erreicht – oder um beim Terminus Rennen zu bleiben – die Ziellinie längst überfahren ist. Um meine Behauptung zu untermauern, muss ich ganz weit zurück gehen bis ins Jahr 1978. Eine der wenigen Konsolen, das Atari VCS, deckt zwar viele Genres bereits ab, die heute auch noch Bestand haben, aber Rennspiele sind sicher nicht die große Stärke des Systems. Night Driver, Dodge`Em und Dragster sind noch klobige Ansammlungen von Pixeln und haben mit Rennspielen wie wir sie heute kennen, noch relativ wenig zu tun, bis 1983 die Spielhallenkonvertierung Pole Position von Namco erscheint. Dies ist das erste Spiel, das in Ansätzen den Weg ebnet, auch wenn 16 Farben und Midi-Knarz-Sound noch nicht wirklich viel hergeben. Aber viele weitere Publisher werden sich zukünftig an diesem Spiel orientieren.
Die Firma, die Rennspiele endgültig populär macht, ist SEGA. Durch Spielhallenautomaten wie Hang On und Out Run spielt sich Sega ganz nach vorne und in die Herzen derer, die schon immer mal einen Ferrari bewegen wollten. Nach dem Erscheinen des Master Systems können Spieler die Highlights der bisherigen Videospielgeschichte endlich auch am eigenen Fernseher genießen. Dabei sind beide Spiele noch recht überschaubar. In Hang On fährt man schlicht mit seinem Motorrad auf immer gleicher Strecke von Checkpoint zu Checkpoint. Mehr Spaß und Abwechslung bietet Out Run. Unterwegs im Ferrari Testarossa mit einer Blondine auf dem Beifahrersitz teilt sich am Ende eines jeden Abschnitts die Strecke und man hat die Wahl, ob man links oder rechts weiterfahren möchte. So stehen dem Spieler fünf verschiedene Ziele zur Verfügung. Out Run wird noch in den Varianten Battle Out Run und Out Run Europe von U.S. Gold auf dem Master System veröffentlicht und in vielen weiteren Versionen für fast alle Konsolen umgesetzt. Im April 2009 wird Out Run sogar noch einmal als Arcade Download für die XBOX 360 aufgelegt.
Aber nun ist der Siegeszug der Rennspiele nicht mehr aufzuhalten und die ersten Varianten erscheinen, die sich nicht mehr nur darum drehen, ein Rennen zu gewinnen. Auf dem Master System werden Special Crime Investigation und Action Fighter veröffentlicht, in denen auf Gegner geschossen wird und Verbrecher gejagt werden. Ideen, die später mit Driver und Grand Theft Auto aufgegriffen und perfektioniert werden.
Einen weiteren Meilenstein erlebt das Genre 1989 wiederum durch SEGA mit Super Monaco GP. Denn hier wird mit Monaco zum ersten Mal eine real existierende Rennstrecke nachgestellt. Das Spiel wird für alle Sega Konsolen sowie die damals aktuellen Heimcomputer Amiga, Sinclair und Atari ST umgesetzt. Auf dem Master System, dem Game Gear und dem Mega Drive erhält das Spiel zu Ehren der verstorbenen F1 Legende Ayrton Senna 1992 einen zweiten Teil mit dem Titel Ayrton Senna`s Super Monaco Grand Prix 2.
Nintendo ist in den Spielhallen nicht präsent und hat als SEGA Konkurrent in diesem Genre bis dato nichts zu melden oder entgegen zu setzen, bis ihnen 1992 mit Super Mario Kart auf dem SNES der ganz große Wurf und Überraschungshit schlechthin gelingt. Mit diesem Titel ist das Genre der Funracer geboren. Rennspiele sind ab jetzt nicht mehr nur realistisch. Nintendo besetzt Karts mit all seinen Stars und stattet die Strecken mit Extras wie zielsuchenden Schildkrötenpanzern oder Bananenschalen aus, die den Gegner kurzzeitig aufhalten. Und auch wenn Nintendo das Spiel auf jeder seiner zukünftigen Konsolen fortsetzt, erreicht kein Titel jemals wieder die Qualität und den Spaß der SNES-Version.
Ein weiteres absolutes Highlight auf dem SNES und bis heute nicht kopiert und damit unerreicht ist für mich persönlich Unirally. Rennen auf einem Einrad waren bis zu diesem Titel etwas vollkommen Neues. Die Kombination aus Rennen, Stunts und schnellen Reaktionen machte diesen Titel bis heute einzigartig, auch wenn die Grafik schlicht, aber dem Spiel angepassst ist. Denn mehr benötigt eine gute Idee gar nicht. Wer noch ein funktionierendes SNES im Schrank hat, sollte sich diesen Titel unbedingt zulegen. Ein weiterer Toptitel auf dem SNES nicht wegen des Rennspiels an sich, sondern wegen seines für damalige Verhältnisse sensationellen Sounds ist Rock`n`Roll Racing. Paranoid von Black Sabbath oder Born to be Wild von Steppenwolf sind einer der Gründe, dass dem Sound in Rennspielen immer größere Beachtung zuteil wurde und dessen Höhepunkt – bis heute unerreicht – eindeutig die 80er-Jahre CD-Box von GTA Vice City darstellt. Nicht zu vergessen ist auf dem SNES der sensationele Future-Racer F-Zero.
Daytona USA stand 1993 in den Spielhallen und die Umsetzung auf den Sega Saturn war für mich der Grund, damals unverschämte 799,-DM für die Konsole zzgl. 129,-DM für das Spiel auf die Ladentheke zu legen. Aber bis heute ist der Titel und die Konsole das Geld wert!
Und erneut SEGA hievt die Rennspiele auf das nächste Level. Weg von der Straße und Asphalt präsentiert man 1995 mit Sega Rally Championship das erste echte Rally Spiel und die Umsetzung von der Spielhalle auf den Sega Saturn ist eine Sensation: Im Pratice-Modus stehen neben den beiden Rallyfahrzeug Legenden Toyota Celica GT Four und Lancia Delta Intergrale die drei Strecken Desert, Forest, und Mountain sofort zur Verfügung. Wer diese Strecken in der Meisterschaft mit Platz 1 abschließt, darf die Bonus Stage Lake Side fahren. Wer diese erneut mit dem ersten Platz absolviert, wird mit dem Rallycar schlechthin belohnt, dem Lancia Stratos – fast nicht zu steuern, aber sooo schön! Selbstverständlich wird auch diese Kuh gemolken bis zum geht-nicht-mehr, denn nach Sega Rally Championship 2 wird zuletzt die XBOX 360 mit einem Download Titel „beglückt“, der aber mit dem Original nichts mehr zu tun hat.
Meines Erachtens ist jedoch trotz all dieser Toptitel die Playstation One die Konsole, die die Rennspiele zu dem gemacht hat, was sie heute sind. Niemals vorher war es möglich, Strecken und Fahrzeuge aller Art so realistisch darzustellen und den Sound an Fahrzeuge und Strecken anzupassen. Stellvertretend für alle Titel stehen hier für mich Destruction Derby, WipEout und Gran Turismo. Jeder dieser Titel begründete auf seine eigene Art ein neues Genre oder perfektionierte ein bereits vorhandenes. In Destruction Derby durfte endlich gerammt und geschrottet werden und Fahrzeuge blieben qualmend auf der Strecke liegen. Diese Schrottorgien waren mit Sicherheit Inspiration für Burnout. WipEout ist bis heute der futuristische Racer schlechthin. Ob sich der Titel aufgrund seiner Thematik an F-Zero orientiert, kann ich nicht beurteilen, überragender Sound und eine perfekte, wenn auch ungewöhnliche Steuerung sind bis heute in diesem Genre unerreicht.
Trotz aller Lobeshymnen: Den Anfang vom Ende stellt Gran Turismo dar. Das Spiel bot zum ersten Male einen solchen Realismus, dass sich seitdem sämtliche Entwickler damit überbieten. Und damit komme ich wieder zum Eingang dieses Artikels. Um Strecken und lizensierte Fahrzeuge wurde nun im Laufe der folgenden Jahre ein regelrechtes Wettrüsten losgetreten. Gran Turismo, Forza Motorsport und zuletzt Shift überboten sich mit immer mehr Realismus. Nahezu jede mehr oder weniger bekannte Rennstrecke auf diesem Planeten und jeder halbwegs bekannte Fahrzeughersteller bzw. dessen Fahrzeuge wurden so naturgetreu wie möglich für ein Spiel digitalisiert. Kein Rennspiel mit Realitätsanspruch, das heute nicht den Nürburgring in jeder nur erdenklichen Ausführung präsentiert. Wer den Ring nicht im Portfolio hat, ist von vornherein unten durch.
Dabei hat es Sony einst mit Gran Turismo vorgelebt. Eigene Kurse wie Deep Forest, Grand Valley, Trial Mountain, High Speed Ring oder der Autumn Ring sind jedem Rennspielfan heute ein Begriff und werden im Schlaf abgefahren. Warum wurde dieses Konzept nicht weiter verfolgt, warum hat man sich nicht die Mühe gemacht, neue eigene Kurse für Gran Turismo 5 zu entwerfen?
Die Antwort ist so simpel wie unbefriedigend: Recycling ist billiger und mit neuen Strecken als Downloadcontent lässt sich der Spieler noch einmal abkassieren. An Dreistigkeit nicht zu überbieten war wohl letztes Jahr Microsoft, die dem Spieler ein Forza Motorsport 3.1 als neues Spiel mit einer 4 im Titel vorgaukelten. Zwei neue Strecken und eine Kinect-Wischi-Winke-Winke-Funktion machen kein neues Spiel aus, sondern sind nur ein Update.
Neben diesem Recycling und der Abzockmentalität einiger Publisher wird ein weiterer Grund spätestens hier offensichtlich: Eigene Ideen werden immer seltener oder als zu riskant verworfen. Denn nicht jede Neuerung wird auch angenommen. Codemasters führte mit Racedriver Grid eine Rückspulfunktion ein, die dann alle anderen übernommen haben. So konnte sich endlich auch Klein-Fritzchen wie Sebastian Vettel fühlen, obwohl er eigentlich zu unfähig war, sein Fahrzeug sauber und fehlerfrei über einen Rundkurs zu bewegen. Einen letzten Versuch, eine neue Idee zu implementieren, wagte letztes Jahr Ubisoft mit Driver San Francisco und erlebte einen furchtbaren Bauchklatscher. Die Idee, von einem Fahrzeug ins nächste zu shiften, wurde von den Spielern als zu abstrakt abgetan. Dabei hatte dieses Open World Spiel etwas ganz eigenes.
Mir stellt sich hierbei nur eine Frage: Will der Spieler überhaupt etwas Neues oder ist er mit dem jährlichen Aufguss eines alten Titels mit ein wenig aufgepeppter Grafik glücklich? Ich jedenfalls bin ohne Scheinwerfer in den Tunnel gefahren und sehe dort auch kein Licht am Ende. Für mich sind Rennspiele an den Konsolen vorerst am Ende, bis ein Publisher wieder den Mut hat, das andere Spiel zu präsentieren. Dirt Showdown sei „Dank“!!! Ich brauche nicht die vierzehnte Auflage des Nürburgrings, einen weiteren Laguna Seca oder noch ein weiteres Monaco, Suzuka und wie sie alle heißen. Und ich brauche keine spielstreckenden Modi, die die immer gleichen Kurse nur mit anderen Fahrzeugen abfahren. Ich will ein Spiel wie Gran Turismo mit liebevoll designten eigenen Strecken, der Spielbarkeit von Forza Motorsport, dem Spielspaß von Destruction Derby und dem Sound von GTA Vice City. Und ich will einen Editor mit allen Schikanen … und ich will mir meine eigenen Meisterschaften zusammenstellen können … aber das alles ist bestimmt zu viel verlangt, oder?
Ach ja, vielleicht schafft es irgendein Publisher, Rallisport Challenge 3 auf der XBOX 360 zu veröffentlichen? Aber nur, wenn da wieder Bergrennen bei Nacht und Regen und Rallys auf Eis und Schnee integriert sind. Und die Spieldauer einer Strecke sollte länger sein, als die Ladezeiten vor und nach der Etappe, ansonsten könnt ihr das gleich bleiben lassen.
Dieser Bericht erhebt selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ich bin auf Serien wie WRC von Sony, Ridge Racer von Namco, Need for Speed von EA, Project Gotham Racing von Microsoft, Driver von Ubisoft, GTA von Rockstar oder Colin McRae Rally von Codemasters gar nicht oder nicht näher eingegangen. Ebenso wurden Titel wie Rallisport Challenge, Blur, Test Drive, F1, Pure und hunderte andere nicht erwähnt. Ich habe bestimmt wichtige Titel vergessen oder sie einfach nicht erwähnt. Ich wollte hier auch keine vollständige Liste aller jemals erschienenen Rennspiele veröffentlichen, aber die meiner Meinung nach wichtigsten Meilensteine markieren. Meilensteine, die die Geschichte der Rennspiele geprägt haben und an denen sich alle nachfolgenden Generationen in der einen oder anderen Art orientiert haben oder messen lassen mussten.
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