Ich war für meinen zweiten Testraum auf der Suche nach einem für die Raumgröße leistungsgerechten und gleichzeitig optisch schicken AV-Receiver. Schließlich werden dort Stereo-Lautsprecher für den Gaming-Bereich angeschlossen und getestet, von daher muss ein solcher Receiver auf Fotos neben den Speakern schon ins Auge stechen. Und sind wir mal ehrlich: Wenn es um Design geht, kommt wohl kaum ein Unternehmen an Marantz heran. Die einzige echte Ausnahme und der vermutlich schönste Receiver aller Zeiten ist der ROSE RA180. Und so entschied ich mich völlig spontan, ohne jegliche Hörprobe und ohne den Verstärker überhaupt gesehen zu haben, für den Marantz Cinema 70s, weil der zumindest auf Fotos alle meine Ansprüche an perfektes Aussehen erfüllt.

Einen AV-Receiver kauft man sich zwar nicht für die Ewigkeit, aber eben doch für einen längeren Zeitraum, bis die Technik wieder so weit fortgeschritten ist, dass irgendwann ein altersbedingter Austausch ansteht. Daher war ich tatsächlich ziemlich aufgeregt, den Cinema 70s zu Hause endlich auszupacken und in den Fingern zu halten.
Um es kurz zu machen:
Im Original ist dieser schlanke AV-Receiver noch einmal hübscher, als es die schon großartigen Pressefotos hätten darstellen können. Auch wenn die abgesetzte Front gegenüber den größeren Brüdern der Baureihe nur aus Kunststoff gefertigt ist, so nimmt die Ansicht von vorn den Betrachter dennoch sofort mit. Allein die gewölbten Außenseiten der Front im typischen Marantz-Design sind ein echter Blickfang.

Ausstattung und Technik
Typisch für fast jeden (AV-)Receiver sind die beiden großen Drehregler, von denen einer für die Auswahl der Quelle zuständig ist und der andere die Lautstärke regelt. Weitere kleine Buttons erfüllen die gleichen Funktionen wie jene auf der Fernbedienung, aber wenn man diese nicht zur Hand hat, ist eine Bedienung am Gerät immer sinnvoll. Wo andere Hersteller auf große und rechteckige Displays mit möglichst vielen Informationen setzen, unter denen häufig die Übersichtlichkeit leidet, bleibt man bei Marantz seiner Linie – oder in diesem Fall – seinem Bullauge treu. Das kleine runde und dimmbare OLED-Display stellt nur die nötigsten Infos auf zwei Reihen dar, mehr Status braucht man eigentlich auch nicht.
Einwandfrei gelungen ist die Fernbedienung, auch wenn man alle Einstellungen auch über die Marantz AVR Control App steuern kann. Eine gummierte Oberfläche zieht zwar den einen oder anderen Fussel mehr an, macht aber immer einen hochwertigen Eindruck. Alle Knöpfe sind ausreichend groß beschriftet und trotz der Anzahl an Buttons bleibt alles übersichtlich. Ein weiterer Button an der Außenseite sorgt sogar für eine kurzfristige Beleuchtung aller Elemente.

Der Marantz Cinema 70s ist ein 7.2 Kanal Receiver, dementsprechend umfangreich ist die Rückseite mit allen aktuellen und notwendigen Anschlüssen ausgestattet. Neben drei HDMI-4K Anschlüssen stehen auch deren drei mit 8K zur Verfügung, wichtig also für Xbox und Playstation. Der 8K HDMI-Out beherrscht eARC für den bestmöglichen Klang von Dolby Atmos und DTS:X vom TV über den Receiver an die Lautsprecher. Dazu kommen weitere Cinch-Eingänge für externe Zuspieler. Immer wichtiger wird für viele Käufer, dass der Receiver über einen Vorverstärker und damit einen Phono-Eingang für den wieder heißgeliebten Plattenspieler verfügt. Auch damit kann der Marantz Cinema 70s dienen, genau wie mit gleich zwei Subwoofer-Eingängen. Technisch ist der kleine AV-Receiver also voll auf der Höhe der Zeit.

Aber auch der weitere Inhalt des schlichten Umkartons überrascht und ist so eher unüblich. Statt wie viel zu häufig sämtliches Zubehör in irgendwelchen Aussparungen im dem das Gerät beim Transport schützenden Styropor zu finden, liegt hier eine Pappschachtel bei, in der die Fernbedienung, zwei WLAN/Bluetooth-Antennen, Anleitungen und sogar Aufkleber untergebracht sind. Für jedes Lautsprecherkabel gibt es einen farbigen Kleber für den entsprechenden Anschluss. Vorbei die Zeiten, in denen zum Zusammenschluss von Lautsprechern und Verstärker das richtige Kabel gesucht werden musste oder in denen selbstbeschriftetes Tesa-Krepp die Kabel markierte. Eine Kleinigkeit nur, aber dennoch eine, die einem die Arbeit des Aufbaus gerade bei mehr als einem Stereo-Set erleichtert.

Die Einrichtung eines AV-Receivers ist heute kein Hexenwerk mehr, der Marantz Cinema 70s ist da keine Ausnahme. Ist der kleine Verstärker per HDMI mit dem TV verbunden, führt ein sauber strukturiertes und vor allem verständliches Menü am Bildschirm den Nutzer durch den kompletten Vorgang. Und je nach Lautsprecheranordnung kommt jetzt das mitgelieferte Richtmikrofon zum Einsatz. Dieses misst jeden einzelnen Lautsprecher in Relation zum Hörplatz an sechs verschiedenen Punkten aus, um so das optimale Heimkino mit Raumklang zu ermöglichen. Auch wenn dies die Einrichtung etwas in die Länge zieht, sollte man diese Messung tatsächlich immer durchführen.

Der erste Einsatz in der Praxis
Nach all der Euphorie über Design und Technik folgt nun der erste Einsatz – und damit eine unangenehme Überraschung. Es ist kaum vorstellbar, wie viel Zeit der Cinema 70s vom Anschalten bis zum Betrieb benötigt. Es dauert tatsächlich handgestoppte 57 Sekunden, bis der Receiver einsatzbereit ist und das obwohl das Gerät per Kabel mit dem heimischen Netzwerk verbunden ist. Die Zeit zur Suche nach dem WLAN entfällt also völlig. Mein Yamaha RX-A2080 benötigt für den gleichen Vorgang keine 15 Sekunden und mein Cambridge Audio CXN (V2) Streamer ist durch die Funktion Netzwerk-Standby sogar sofort nach dem Anschalten betriebsbereit. Aber gut, dann übe ich mich beim Marantz eben in Geduld.




Marantz und Denon bedienen sich zur Wiedergabe von Musik der Denon-Eigenentwicklung HEOS. Diese App steuert sämtliche Zuspieler wie Streaming-Dienste, Internet-Radio oder dem eigenen Musik-Server. Da ich bereits einige Geräte zum Test hatte, die HEOS nutzen, meldete ich mich ordnungsgemäß mit meinem entsprechenden Konto an. Leider ploppte hier regelmäßig die Meldung auf, dass der HEOS-Konto Server nicht verfügbar ist und man es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal versuchen soll. Tidal zu nutzen war bis dahin also nicht möglich. Alle Soft- und Hardware ist auf dem neuesten Stand und auch eine Neuinstallation der App brachte keine Veränderung. Erst eine Kontolöschung und eine Neuanmeldung mit einem neuen Mail-Account behoben dieses Problem.

Gut gelungen ist die Marantz AVR Remote App. Nicht nur, dass diese als Fernbedienung zu nutzen ist, auch sämtliche Einstellungen am Receiver lassen sich hier vornehmen. Hier werden alle Audio- und Videoausgänge aufgeführt und lassen sich bei Bedarf umbenennen, auch das Netzwerk und der Receiver selbst können konfiguriert werden. Wer also wieder einmal die Fernbedienung verlegt hat, bekommt mit der App das Komplettpaket, welches auch die ausführliche Anleitung ersetzt.
Das A und O – der Klang
Meine Erwartungshaltung an einen schlanken, nur inzwischen noch knapp 700€ teuren Verstärker, hatte ich tatsächlich realistisch flach gehalten. Der Marantz Cinema 70s wurde beschafft, um Regallautsprecher oder aber auch das eine oder andere Paar Standlautsprecher für den jeweiligen Test zum Gaming auf kleinem Raum zu bespielen. Dass der dabei nur 50 bzw. 70 Watt Ausgangsleistung zur Verfügung stellt, war mir also von vornherein klar. Was aber da tatsächlich an Klang abgegeben wird, überraschte mich dann positiv. Zum täglichen Gebrauch, wenn denn der Receiver mal außerhalb eines Tests spielt, habe ich meine Magnat Quantum Edelstein angeschlossen. Dieses kleine Speaker Set liebe ich bis heute, da sich hier edles Design und hervorragender Klang vereinen.

Klanglich spielt der flache Receiver doch groß auf und das in Pegeln, bei denen auch die Nachbarschaft Spaß haben kann. Ich persönlich mag einen neutralen Klang, ohne Ausreißer nach ganz oben oder unten und genau das bietet der Marantz. Je weniger ein Receiver sich im Ton vergreift, desto realer wird der Klang der angeschlossenen Lautsprecher. Und so konnte ich an dem kleinen Cinema 70s sogar die High-End Hifi Perlisten R4b testen.

Auch wenn ich an diesem Verstärker tatsächlich momentan nur ein Stereo-Setup betreibe, so nimmt mich der Klang mit. Egal ob Gaming, Musik der harten Gangart oder auch der Film über den Streaming-Anbieter der Wahl, der Klang ist größer, als es die kompakte Bauweise vermittelt.
Fazit Marantz Cinema 70s:
Auch wenn ich diesen kleinen AV-Receiver beschafft habe, weil mich dessen Design auf Anhieb gepackt hat, so hätte ich den bei unzureichendem Klang sofort wieder abgegeben. Aber hier trifft zusammen, was zusammengehört. Der Cinema 70s sieht nicht nur schick aus, er klingt auch so, wie man sich das von Marantz erhofft. Aktuelle Technik, zahlreiche Anschlussmöglichkeiten, eine einwandfreie Fernbedienung und die Einmessung von Lautsprechern über ein externes Mikrofon erwartet man nicht zwingend bei einem Receiver dieser Preisklasse.
Wenn es wirklich etwas zu quengeln gibt, dann ist es diese unsägliche Startzeit, bis der Cinema 70s betriebsbereit ist und auch die HEOS-App ist Geschmackssache. Aber gut, an einem übersichtlichen App-Design sind schon ganz andere gescheitert. Viel mehr stören kleine technische Schwierigkeiten in der App, wenn mitten in der Wiedergabe der Kontakt zu Tidal abreißt, obwohl das Netzwerk absolut stabil ist.
Wer mit diesen kleinen Unzulänglichkeiten leben kann, bekommt für momentan knapp 700€ einen todschicken AV-Receiver mit Blickfang-Garantie und einwandfreiem Klang für den nicht ganz so großen Raum.

Link zum Hersteller: Marantz Cinema 70s