Es ist Ende der 80er Jahre. Der V12 des roten Ferrari Testarossa Cabriolet donnert im roten Drehzahlbereich, meine blonde Beifahrerin prüft kurz ihr Make-Up und da fällt die Startflagge. Mit qualmenden Reifen beschleunigt der rote Flitzer auf 120 km/h und ich schalte in den zweiten Gang.
Am Palmenstrand entlang fliegend schliddere ich mit über 290 Sachen durch ausladende Kurven, schlängele mich an VW-Käfern und Corvettes vorbei und krache wenige Kilometer später in einer gefährlichen Wechselkurve gegen ein Strandhaus. Der Wagen überschlägt sich. Während das Auto noch durch die Luft fliegt und ich durchgeschüttelt werde, weiß ich schon: Das ist das Ende. Keine Chance mehr. Die Zeit für mich ist abgelaufen.
Drei Markstücke ärmer steigt mein 13-jähriges Ich aus dem Automaten. Ich ärgere mich, dass das Spiel schon im ersten Level für mich zu Ende ist und mein Taschengeld nicht für eine zweite Runde reicht. So warte ich mit leeren Taschen darauf, von den Eltern vom Stadtfest abgeholt zu werden. Andererseits bin ich um die Erfahrung reicher, in der hydraulisch bewegten Deluxe Version des Spiels Out Run gespielt zu haben. Eine beeindruckende Erfahrung, die sich in mein jugendliches Hirn für den Rest meines Lebens eingebrannt hat.
Get Ready
„3D Out Run“ ist der neueste Ableger der Serie von 3D Remakes klassischer Arcade Spiele, die Sega derzeit auf dem Nintendo 3DS veröffentlicht.
In „Out Run“ geht es darum mit einem schnellen Auto möglichst innerhalb eines Zeitlimits einen Streckenabschnitt zu meistern, um dann dank Zeitbonus an einem Checkpoint die nächste Etappe entlang zu rasen.
Das revolutionäre an „Out Run“ war damals, dass man als Spieler selbst festlegen konnte, welche nun die nächste Etappe sein sollte. Am Ende eines Levels fuhr man auf eine Gabelung zu und konnte dann entscheiden, ob man rechts oder links entlang fuhr.
So spannt sich ein Streckenbaum mit insgesamt 15 Streckenabschnitten unterschiedlichster Landschaftsthemen auf und gaben so dem Automatenspieler nach vier Checkpoints Anreiz erneut Geld einzuwerfen, um auch die Zielanimationen der übrigen abwechslungsreichen Streckenabschnitte zu sehen.
Vom Palmenstrand durch teuflische Canyons, über sandverwehte Wüstenstrecken und entlang deutscher Autobahnen ist so ziemlich alles dabei, was ein Rennfahrerherz begehren kann. Und je nach gewähltem Ziel fällt auch die Siegerehrung etwas anders aus.
„Out Run“ zeigt dabei das Renngeschehen in 3D aus einer Verfolger-Perspektive hinter dem Wagen, während die Landschaft mit skalierten 2D Sprites an einem vorüberfliegt. Dabei schafft es das Spiel durch das „Voreinanderstapeln“ und das in Daumenkino-artiger Geschwindigkeit Vorbeiziehen der Streckenobjekte ein Geschwindigkeitsgefühl zu erzeugen, was selbst moderne „echte“ 3D Spiele aussehen lässt, als würde man mit einem Tretauto durch die Landschaft fahren.
Checkpoint
Gegenüber dem Automatenoriginal hat Sega „unter der Haube“ ordentlich herumgetuned. Anstatt dem Spieler ein fast 30 Jahre altes Spiel anzudrehen, hat sich das Programmierteam hingesetzt, und das Spiel leicht modernisiert. Lief das Automaten-Original damals „nur“ mit 30 Bildern pro Sekunde, wurde die 3DS Version auf 60 Bilder pro Sekunde hoch-interpoliert.
Aufgrund der ausgelaufenen Lizenz, wurde aus dem Ferrari ein No-Name Flitzer mit Flügel-Emblem statt aufsteigendem Pferd, der aber nach Erreichen je eines der fünf Streckenziele mit freigeschalteten Extras ausgerüstet werden kann. Eine verbesserte Lenkung sorgt für weniger Schliddern in den Kurven. Ein stärkerer Motor bringt das Auto locker über 300km/h statt der üblichen 290, eine festere Stoßstange mildert den Zeitverlust bei kleineren Remplern an den anderen Verkehrsteilnehmern und besondere Reifen erlauben es dem Wagen, auch neben der Strecke ohne Geschwindigkeitsverlust zu fahren. Vorausgesetzt, kein Hindernis am Wegrand beendet den Off-Road Ausflug mit einem spektakulären Überschlag.
Hat man alle fünf Ziele erreicht, kann man auch die originale Arcade Version (ohne Ferrari, ohne Extras, dafür aber mit 30FPS) spielen. Wahrscheinlich als Fan-Service für die Enthusiasten, die bei Spielen lautstark 1080p bei 60 Frames fordern, aber bei blu-ray Filmen mit 24 Bildern ruckeln sehen wollen.
Authentizität über Alles
Sega weiß also was die Fans wollen. Vielleicht haben sie daher die fehlende Ferrari Lizenz mit dem mannigfaltigen Optionsmenü wieder wettmachen wollen. So kann das Spiel in allen nur erdenklichen Arten gemäß dem eigenen Geschmack eingestellt werden. Von den Standard Automateneinstellungen bezüglich des Schwierigkeitsgrades was die Verkehrsdichte beeinflusst und dem Zeitlimit, über 3DS spezifische Einstellungen, um das originale 4:3 Seitenverhältnis auf den 3DS Breitbildschirm zu bringen oder die Tastenbelegung, bis hin zu Effekten, die man nur erleben könnte, wenn man im echten Automaten sitzt. So kann man eine Simulation der Neige-Bewegung des Deluxe Automaten dazu schalten, und das 3DS schwenkt dann virtuellen Bildschirm seitlich weg. Schaltet man die Umgebungsgeräusche ein, hört man wie das Lenkrad mit einem saftigen „Schlonk!“ ruppig an den Lenkanschlag geknallt wird oder der Schalthebel beim Schalten in den höheren Gang ein „Ka-Klick“ von sich gibt.
Ebenso hat man die Wahl, die japanische Streckenreihenfolge oder die „westliche“ Streckenführung zu spielen. Der Unterschied ist lediglich, dass die Strecken „Devil‘s Canyon“ und „Cloudy Mountain“ sowie „Wheat Field“ und „Gateway“ untereinander vertauscht sind. Willkommen am Nerdpol.
Neben der Tastenbelegung kann man das Fahrzeug entweder klassisch mit Schiebepad oder Steuerkreuz lenken, oder versucht sich mit der Touchscreen-Steuerung. Der untere Bildschirm zeigt horizontal getrennte, farbige Sektionen die für das Beschleunigen oder Abbremsen des Autos verantwortlich sind. Bewegt man den Stylus auf dem Touchscreen nach links oder rechts, lenkt das Auto.
Magische Ton Dusche
„Out Run“ war auch bekannt für die damals einzigartige Möglichkeit, seine Spielmusik zu wählen. Vor dem Rennen stellte man den virtuellen Radiosender ein, und erfreute sich an einem Salsa-Latino Song namens „Magical Sound Shower“ (mein persönlicher Favorit), einer entspannt beginnenden „Passing Breeze“, oder einer treibenden „Splash Wave“. Extra für die 3DS Version gibt es zwei zusätzliche Songs, die das 80er Jahre Gefühl musikalisch nochmal hervorragend einfangen und prima zu dem Renngeschehen passen. Dabei wurden die Songs nicht einfach vom Automaten digitalisiert und abgespielt, sondern werden automatengetreu über den emulierten Soundchip erzeugt.
Im Optionsmenü kann man sich übrigens alle Songs entspannt ohne Renn-Hektik in Ruhe anhören.
Zusammen mit den oben bereits erwähnten Arcade-Hintergrundgeräuschen und dem digitalen Reifenquietschen könnte man einfach die Augen schließen und fühlt sich wieder als 13-Jähriger auf dem Automaten.
Fazit:
Denkt man mit Schaudern an die damaligen „Out Run“ Heimcomputer-Umsetzungen, hat man mit der 3DS Version von „3D Out Run“ fast das Automaten-Original in der Hosentasche. Und das „fast“ ist nicht im negativen Sinne gemeint. Man bekommt hier mehr, als das Original geboten hat.
Sega hat hier nicht einfach bloß die Automaten-ROMs emuliert. Das Spiel wurde zum Einen der 3D Behandlung wie bei den vorigen 3DS Sega Klassikern unterzogen und dann mit weiteren Extras ausstaffiert, die einen echten Mehrwert bieten. Nörglerische Puristen werden vielleicht die Nase rümpfen, wenn man statt mit rotem Testarossa mit einen blauen Flitzer mit kleinen Heckflossen bei 300km/h über den virtuellen Straßenrand pflügen kann, aber spielt halt die 5 Streckenziele durch, und schaltet das Spiel auf den Originalmodus.
Als Automatenspiel ist die Spielzeit von Natur aus nur auf wenige Minuten ausgelegt. In etwa einer halben Stunde hat man alle Strecken gesehen. Aber dann fängt die High-Score Jagd an oder man stellt sich Stück für Stück den Schwierigkeitsgrad und das Zeitlimit herausfordernder. „Out Run“ ist eben ein Spiel, was man während einer kurzen Wartepause auspackt, um mal eben 5 Minuten bis zur nächsten Straßenbahn totzuschlagen.
Und wenn man jetzt überlegt: Mein 13-jähriges Ich musste damals für ein Spiel 3 Deutsche Markstücke in den Automaten mit der beeindruckenden Hydraulik einwerfen (ich hatte kein 5 Mark Stück für den „günstigeren“ 2-Spiele Schlitz). 5 Deutsche Mark entsprechen inklusive 30 Jahre Inflation heute etwa 4 Euro 50. Der Download im Nintendo e-Shop kostet nicht einmal 5€. Man braucht kein Mathematik-Genie zu sein, um zu erkennen: Hier bekommt man so richtig viel „Out Run“ fürs Geld. Die einzige Möglichkeit (legal) noch näher ans Original zu kommen wäre den echten Automaten zu kaufen.
Nennt mich nostalgisch verklärt, von der Hydraulik zu stark geschüttelt oder von schlechten 8-bit Heimcomputer-Umsetzungen jugendlich traumatisiert: Nach über 25 Jahren habe ich jetzt endlich alle Ziele bei „Out Run“ erreicht und gebe dieser – mit offensichtlich viel Liebe und Respekt zum Original gemachten – Umsetzung 5/5 quietschende Autoreifen.